Internetrecht: Recht auf Vergessen bei negativen Mitteilungen im Internet OLG Hamburg

Achtung: Der Beitrag kann die rechtliche Beratung im Einzelfall nicht ersetzen!

Nach der richtungsweisenden Entscheidung zum „Recht auf Vergessen“ des EuGH vom 13.5.2014 (Google) entscheidet das OLG Hamburg, Urteil vom 7.7.2015 ­ 7 U 29/12 ebenfalls zum "Recht auf Vergessen" zu älteren Mitteilungen im Internet.

Informationsfreiheit in Abwägung zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht

Das Begehren des Klägers bestand in einer Untersagung der Beklagten im Internet bereitgehaltene Beiträge zu verbreiten. Ein solcher Anspruch (§1004 ABs.1 S.2 BGB analog i.V.m. dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht nach Art.1 Abs.1, 2 Abs.1 GG) stünde dem Kläger laut Gericht nicht zu, da die Interessen der Beklagten (Informationsfreiheit nach Art.5 Abs.1 GG) die des Klägers überwiegen würden.

Die behandelten Beiträge stellten wahre Berichterstattungen über Handlungen dar, an denen der Kläger beteiligt gewesen sei. In den Beiträgen würde der Kläger auch nicht vorverurteilt. Einerseits tangierten die Beiträge zwar das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers, andererseits sei gerade bei Politikern ein hohes Maß an öffentlichem Interesse vorhanden. Insbesondere besteht dieses Interesse auch langfristig, weil sich die in entsprechenden Handlungen wiederholen können.

Fehlende Kennzeichnung als „Altmeldung“

Laut Gericht erscheint es zunächst nachvollziehbar, dass eine fehlende Datierung bei einem Artikel über eine abgeschlossene Ermittlung dem Leser vermitteln könne, der Artikel beziehe sich auf aktuelle Ereignisse. Zweifelhaft war jedoch, ob der Internetnutzer bei einer „Einstiegsseite“ auf den Gedanken kommt, die gelisteten Textausschnitte seien Teile aktueller Berichte. Weiterhin käme der Internetnutzer unverzüglich zu der Erkenntnis der Artikel enthalte Ausschnitte verschiedener, zeitlich versetzter Ermittlungsabschnitte.

Namenserfassung

Begründet sei die Berufung des Klägers hingegen in Bezug auf die Forderung zur Löschung des Namens des Klägers bei der Suche nach besagten Artikeln. Dieser Anspruch ergebe sich aus §1004 ABs.1 S.2 BGB analog i.V.m. dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht nach Art.1 Abs.1, 2 Abs.1 GG. Grund dafür sei, dass die bloße Eingabe des Namens des Klägers in eine Suchmaschine zu den den Kläger in seinen Rechten tangierenden Artikeln führe und ihn somit nicht unwesentlich beeinträchtige. Auch hier stehe den Rechten des Klägers zwar das öffentliche Interesse an der Berichterstattung gegenüber. Dieses Interesse nehme jedoch mit zunehmender Zeit ab und mache ein ständiges Vorhalten dieser Anschuldigungen gengenüber dem Kläger nicht mehr angemessen.

Insbesondere seien hier die Anschuldigungen im Stadium des bereits mehrere Jahre zurückliegenden Ermittlungsverfahrens geblieben.

Lösung des Interessenkonflikts zwischen Presse und dem Betroffenen

Konfrontationen zwischen dem Interesse der Presse (Informationsfreiheit) und des Individuums (Allgemeines Persönlichkeitsrecht) seien in diesen Fällen nicht zu vermeiden. Eine Lösung trifft das OLG Hamburg mit einem Ausgleich der Interessen.

„Dieser Konflikt zwischen den Interessen von Presse und Betroffenem lässt sich dadurch in angemessener Weise zum Ausgleich bringen, dass dem Internetanbieter, der seine Berichterstattung dauerhaft über ein Archiv zu öffentlichem Zugriff abrufbar hält, aufgegeben wird, dass die älteren Beiträge nicht mehr durch bloße Eingabe des Namens des Betroffenen in eine Suchmaschine auffindbar sind. Das würde einerseits die Verletzung der Interessen des Betroffenen durch die stete Gefahr einer ständigen Reaktualisierung vergangener Vorgänge erheblich mildern und andererseits die berechtigten Interessen von Presse und historisch interessierten Kreisen nur geringfügig beeinträchtigen.“ (OLG Hamburg, Urteil vom 7.7.2015 ­ 7 U 29/12) (Hervorhebung nicht im Orginal).

Daraus lässt sich folgern, dass falls die bloße Eingabe des Namens eines Betroffenen in eine Suchmaschine zu Artikeln führt, welche ein inhaltlich abgeschlossenes und einige Jahre zurückliegendes Ereignis dokumentieren, welches den Betroffenen in seinen Allgemeinen Persönlichkeitsrechten tangiert, ist der Suchmaschinenbetreiber angehalten diesen Suchablauf zu ändern. Anderenfalls kann der Betroffene den Betreiber der Suchmaschine aus §1004 Abs.1 S.1 BGB analog als Störer in Anspruch nehmen.

Schutz des Suchmaschinenbetreibers

Schließlich merkt das OLG Hamburg in seiner Entscheidung noch an, dass der Suchmaschinenbetreiber geschützt werden müsse, dass seine gesammelten Beiträge nicht nur aufgrund eines bloßen Zeitablaufs rechtswidrig werden und der Betreiber somit in Anspruch genommen werden könnte. Um dieses Problem zu lösen, bildet das OLG Hamburg eine Parallele zum Betreiber eines Internetforums, der ebenfalls ständig Gefahr läuft durch fehlende Überwachung von Beiträgen Rechtsverletzungen zu begehen. Die für die Haftung von Betreibern von Internetforen entwickelten Grundsätze sollen deshalb Anwendung finden.

„Auch der Betreiber des Internetarchivs ist danach nicht verpflichtet, die in dem Archiv gesammelten Beiträge vorab darauf zu überprüfen, ob Vorkehrungen zu treffen sind, um in ihnen vorkommende Namen von einer Auffindbarkeit durch Suchmaschinen auszunehmen. Eine solche Verpflichtung entsteht erst, wenn der Betreiber des Internetforums durch einen qualifizierten Hinweis des Betroffenen darauf aufmerksam gemacht wird, dass die fortdauernde Auffindbarkeit des Beitrags durch Namenssuche nunmehr sein allgemeines Persönlichkeitsrecht verletzt und Vorkehrungen gegen diese Verletzung zu treffen sind. Handelt es sich bei dem Archiv um ein solches, in das Beiträge dritter Anbieter eingestellt sind, hat der Betreiber des Archivs ggf. bei diesen anzufragen. Erst dann, wenn sich danach ergibt, dass die Auffindbarkeit des Beitrags einzuschränken ist, setzt die Verantwortlichkeit des Archivbetreibers ein.“ (OLG Hamburg, Urteil vom 7.7.2015 ­ 7 U 29/12) (Hervorhebung nicht im Orginal).

Stellungnahme

Das Oberlandesgericht weist mit diesen Ausführung unserer Ansicht nach darauf hin, dass kein Anspruch auf die Sperrung oder gar Löschung von Artikeln besteht, an denen ein hohes oder jedenfalls im Verhältnis zum Persönlichkeitsrecht des Betroffenen höher zu wertendes Interesse der Öffentlichkeit besteht. Daran ändert auch das Fehlen einer Zeitangabe bei den Artikeln nichts, da ein Internetnutzer sich nicht ausschließlich einen Eindruck über die Aktualität eines Artikels mache. Die Interessen des Betroffenen dürfen jedoch unserer Ansicht nach nicht gänzlich hinter denen der Öffentlichkeit zurücktreten, weshalb zumindest über eine Suchmaschine keine direkte Verbindung mit ausschließlich Namensangabe des Betroffenen zu alten Artikeln aufgebaut werden darf. Eine genauere Festlegung des Gerichts auf eine Zeitspanne, die einen Artikel als „alt“ qualifiziert, trifft das Gericht nicht. Anhaltspunkte sind jedoch ein abgeschlossenes (Ermittlungs-)Verfahren, welches bereits einige Jahre zurückliegt. Mit dieser Variante will das Gericht den Betroffenen vor Schaden schützen, der durch einen ursprünglich wegen einer anderen Angelegenheit nach dem Namen des Betroffenen Suchenden, entstehen kann. Das OLG bestimmt schließlich noch unserer Ansicht nach zum Schutz von Internetarchiven, dass eine Verpflichtung des Archivbetreibers zur Vorab-Prüfung von Artikeln nicht erforderlich ist. Eine Prüfungspflicht entsteht erst mit einem qualifizierten Hinweis des Betroffenen auf eine entsprechende Verletzung. Eine Einschätzung dieses Falles vom BGH wäre unserer Ansicht nach wünschenswert gewesen, das Urteil ist allerdings rechtskräftig und dieser Fall wird folglich nicht mehr vor dem BGH verhandelt werden.

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