Betäubungsmittelstrafrecht

Was versteht man unter „Betäubungsmittelstrafrecht“? Wo ist das geregelt?

Das deutsche Betäubungsmittelrecht ist im Betäubungsmittelgesetz geregelt. Die §§ 3-28 BtMG regeln umfassend den legalen Verkehr mit Betäubungsmitteln. Es handelt sich insoweit um Verwaltungsrecht. Die §§ 29 ff. BtMG regeln Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln. Insoweit handelt es sich um spezielles „Nebenstrafrecht“. Zweck des Betäubungsmittelrechts ist zum einen die Sicherstellung der medizinischen Versorgung der Bevölkerung, zum anderen die Verhinderung des Missbrauchs und der Abhängigkeit von Betäubungsmitteln (§ 5 I Nr.6 BtMG).

Was ist ein Betäubungsmittel? Welche Mittel erfasst das BtMG?

Gemäß § 1 I BtMG sind Betäubungsmittel im Sinne des Gesetzes die in den Anlagen I-III aufgeführten Stoffe und Zubereitungen.

Anlage I: https://www.gesetze-im-internet.de/btmg_1981/anlage_i.html

Anlage II: https://www.gesetze-im-internet.de/btmg_1981/anlage_ii.html

Anlage III: https://www.gesetze-im-internet.de/btmg_1981/anlage_iii.html

Eine vollständige Liste aller erfassten Betäubungsmittel (Stand. 21.01.2021) stellt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zum Download bereit (zum Öffnen wird Excel empfohlen):

https://www.bfarm.de/SharedDocs/Downloads/DE/Bundesopiumstelle/Betaeubungsmittel/BtM-Stoffe.html

Entsprechend § 1 II Nr.1-3 BtMG kommt eine Aufnahme in die Anlagen als „Betäubungsmittel“ in Betracht, wenn Stoffe oder Zubereitungen nach wissenschaftlicher Erkenntnis aufgrund ihrer Wirkungsweise eine Abhängigkeit hervorrufen können, ihr Missbrauch Gefahren für die Gesundheit begründet oder sie zur Herstellung solcher Stoffe und Zubereitungen dienen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 04.05.1997 - 2 BvR 509/96 und 2 BvR 511/96). Die Begriffe „Stoff“, „Zubereitung“ und „Herstellen“ sind ihrerseits in § 2 I BtMG definiert.

Das Betäubungsmittelrecht erfasst somit nicht sämtliche „Drogen“. Über frei im Handel erhältliche Suchtmittel wie Tabak oder Alkohol trifft das BtMG keine Aussagen.

Welche Handlungen in Bezug auf Betäubungsmittel im Sinne des BtMG sind strafbar?

Zentrale Norm des deutschen Betäubungsmittelstrafrechts ist § 29 BtMG (https://www.gesetze-im-internet.de/btmg_1981/__29.html). Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft wird gemäß § 29 I BtMG insbesondere, wer Betäubungsmittel

  • unerlaubt anbaut, herstellt, mit ihnen Handel treibt, sie einführt, ausführt, veräußert, abgibt, sonst in den Verkehr bringt, erwirbt oder sich in sonstiger Weise verschafft (Nr.1);
  • besitzt, ohne zugleich in Besitz einer schriftlichen Erlaubnis für den Erwerb zu sein (Nr.3);
  • entgegen § 13 I BtMG verschreibt, verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überlässt (Nr.6).

Der objektive Tatbestand

Der Besitz gemäß § 29 I Nr.3 ist ein sogenannter „Auffangtatbestand“. Ihm kommt nur insoweit eigene Bedeutung zu wie keine andere Tatbestandsalternative verwirklicht wurde. Hat der Täter eine speziellere Alternative wie insbesondere § 1 I 1 Nr.1 BtMG verwirklicht – was regelmäßig der Fall sein dürfte -, tritt der Besitz auf „Konkurrenzebene“ zurück. Unerlaubt Betäubungsmittel besitzt, wer eine Plantage in der freien Natur anlegt:

Besitzen im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes setzt ein bewusstes tatsächliches Innehaben, ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis sowie Besitzwillen und Besitzbewusstsein voraus, die darauf gerichtet sind, sich die Möglichkeit ungehinderter Einwirkung auf das Betäubungsmittel zu erhalten (st. Rspr.) Für die Einstufung als Besitz kommt es weder auf die Eigentumsverhältnisse an noch darauf, ob der Täter die Betäubungsmittel unmittelbar in seiner Herrschaftsgewalt hat oder sie an irgendeiner Stelle verwahrt, zu der er sicheren Zugang hat, so dass er ohne Schwierigkeit darüber verfügen kann (BGH NJW 1978, NJW Jahr 1978 Seite 1696). Danach ist es entgegen der ausgeführten Sachrüge für die Beurteilung als Besitz unerheblich, ob die Angeklagten Dritte von der Herrschaft über die in freier Natur angebauten Betäubungsmittel ausgeschlossen hatten. Es reicht aus, dass die Angeklagten selbst jederzeit ungehinderten Zugang hatten. Dies war hier schon deswegen der Fall, weil sie überlegenes Wissen zur Belegenheit der Plantage hatten, die nach den Feststellungen des Amtsgerichts an versteckter Stelle in einem Waldgebiet lag.“
(
OLG Celle, Beschluss vom 21.01.2013 – 32 Ss 160/12)

Die Definition des Begriffs „Handeltreibens“ § 29 I 1 Nr.1 BtMG lautet wie folgt:

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist Handeltreiben im Sinne des § 29 I Nr.1 BtMG jede eigennützige, auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichtete Tätigkeit. Das Erfordernis einer auf Umsatz gerichteten Tätigkeit ist dahin zu verstehen, dass diese die einverständliche Übertragung von Betäubungsmitteln von einer Person auf eine andere zum Endziel haben muss; auf eine tatsächliche Förderung des erstrebten Umsatzes kommt es dabei nicht an, denn Handeltreiben ist kein Erfolgsdelikt. Die Tat ist deshalb auch dann rechtlich vollendet, wenn der erstrebte Umsatz von Betäubungsmitteln nicht erreicht wird.“
(
BGH, Urteil vom 05.05.2011 – 3 StR 445/10)

Der Begriff ist weit auszulegen (BGH, Beschluss vom 26.10.2005 – GSSt 1/05). Ein vollendetes Handeltreiben liegt demnach bereits dann vor, wenn der Täter für einen beabsichtigten Ankauf von Betäubungsmitteln in ernsthafte Verhandlungen mit einem potentiellen Verkäufer eintritt (BGH, Urteil vom 02.10.2013 – 1 StR 75/13). Die Definition in entsprechend weiter Auslegung erfasst Tätigkeiten auch dann, wenn sie nur gelegentlich, einmalig oder lediglich vermittelnder Natur sind (BGH, Beschluss vom 04.10.2018 - 3 StR 155/18https://openjur.de/u/2136238.html).

In Angrenzung dazu, handelt der Täter beim Veräußern uneigennützig:

Veräußerung im Sinne des § 29 I Nr.1 BtMG ist das Abgeben von Betäubungsmitteln gegen Entgelt aufgrund rechtsgeschäftlicher Vereinbarung, wobei der Veräußerer jedoch nicht eigennützig handeln darf. In Abgrenzung hierzu setzt das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln eigennütziges Handeln voraus. Eigennützig ist eine Tätigkeit, wenn das Tun des Täters vom Streben nach Gewinn geleitet wird, oder wenn er sich irgendeinen anderen persönlichen Vorteil davon verspricht, durch den er materiell oder – objektiv messbar – immateriell bessergestellt wird.“
(
BGH, Beschluss vom 16.10.2019 – 2 StR 384/19)

Der subjektive Tatbestand

In subjektiver Hinsicht erfordert die Verwirklichung einer der Tatbestandsalternativen des § 29 BtMG Vorsatz, wobei sogenannter „Eventualvorsatz“ (bedingter Vorsatz) ausreicht. Ist der Vorsatz nicht nachweisbar, kommt in einigen Fällen (insb. § 29 I Nr.1, 2, 6 BtMG) eine strafbare fahrlässige Begehung des Delikts gemäß § 29 IV BtMG in Betracht. Zum subjektiven Tatbestand und dem fahrlässigen Handel-Treiben mit Betäubungsmitteln äußerte sich 2017 der BGH:

Der Vorsatz unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (auch mit solchen in nicht geringer Menge) umfasst – außerhalb des Anwendungsbereichs von § 29 VI BtMG – die Kenntnis davon, dass sich die Tathandlung auf ein Betäubungsmittel im Sinne von § 1 I BtMG bezieht. Dies folgt unter Berücksichtigung der allgemeinen Voraussetzungen des Vorsatzes, der sich auf die zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden Umstände bezieht (§16 StGB e contrario) bereits aus der in § 1 BtMG verwendeten Gesetzestechnik. Stoffe (§ 2 I Nr.1 BtMG) oder Zubereitungen (§ 2 I Nr.2 BtMG) werden gemäß § 1 I BtMG erst durch ihre Aufnahme in die Anlagen I bis III des Betäubungsmittelgesetzes zu Betäubungsmitteln im betäubungsrechtlichen Sinne. Dem Gesetz liegt das Prinzip der Positivliste zugrunde. Die Aufnahme der Stoffe oder Zubereitungen ist damit konstitutiv für deren Eigenschaft, Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes zu sein. Die Aufzählung der betäubungsmittelrechtlich verbotenen Stoffe und Zubereitungen in den Anlagen I bis III ist zudem enumerativ. Vorsätzliches täterschaftliches Handeltreiben wenigstens in der Form bedingten Vorsatzes verlangt als notwendige Voraussetzung angesichts des vorstehend Ausgeführten auf der Ebene des Wissenselements dieser Vorsatzart Kenntnis des Täters von der Möglichkeit, dass das Objekt des Handeltreibens ein Betäubungsmittel im Sinne von § 1 I BtMG ist. Mangelt es daran, fehlt die Kenntnis eines zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden Umstandes, so dass der Täter gemäß § 16 I StGB ohne Vorsatz handelt. Die Unkenntnis der Betäubungsmitteleigenschaft des Handelsobjekts kann zwar unterschiedliche Gründe, etwa fehlende Kenntnis von der chemischen Beschaffenheit oder Unkenntnis von einer Aufnahme eines dem Täter bekannten Stoffs in den Anlagen zum Betäubungsmittelgesetz, haben. Unabhängig davon und unabhängig von der strafrechtlichen Einordnung des Merkmals „Betäubungsmittel“ als deskriptives oder – näher liegend – als normatives Tatbestandsmerkmal oder der Bewertung der § 29 BtMG und § 29a BtMG als Blankettstraftatbestände schließt aber die Unkenntnis der Betäubungsmitteleigenschaft einen darauf bezogenen Vorsatz aus. Die Straftatbestände des Betäubungsmittelgesetzes weisen als Straftatbestandsmerkmal keinen „materiellen Betäubungsmittelbegriff“ auf, der Stoffe unabhängig von der Aufnahme in die Anlagen I bis III allein aufgrund ihrer Wirkungsweisen zu Betäubungsmitteln erhebt. Die Kenntnis davon, dass ein Stoff nach seiner Wirkungsweise eine Abhängigkeit hervorrufen oder aufgrund seiner betäubenden Wirkung wegen des Ausmaßes einer missbräuchlichen Verwendung unmittelbar oder mittelbar Gefahren begründen kann begründet wegen des Prinzips der Positivliste (§1 I BtMG) auf der Ebene der Voraussetzungen des Tatbestandsvorsatzes diesen nicht. Einem solchen Kenntnisstand kann aber beweiswürdigend indizielle Bedeutung für die Überzeugungsbildung des Tatrichters hinsichtlich des auf das Handeltreiben gemäß § 29 I Nr.1 oder § BTMG § 29a I Nr.1 BtMG bezogenen Vorsatzes haben.“
(
BGH, Urteil vom 20.9.2017 – 1 – StR 64/17)

Der Versuch

Gemäß § 29 II ist in den Fällen des § 29 I 1 Nr.1, 2, 5 und 6 BtMG der Versuch strafbar. Eine Versuchsstrafbarkeit erfordert nach allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen einen Tatentschluss des Täters sowie dessen unmittelbares Ansetzen zur Tat (vgl. §§ 22ff. StGB). Bei dem Anmieten eines Hauses mit dem Zweck, dort Cannabis anzubauen, liegt noch keine Strafbarkeit vor:

Hiervon [Handeltreiben im Sinne des § 29 I Nr.1 BtMG] sind solche Handlungen abzugrenzen, "die lediglich typische Vorbereitungen darstellen, weil sie weit im Vorfeld des beabsichtigten Güterumsatzes liegen". Dabei ist auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles abzustellen. Zwar kann die Aufzucht von Cannabispflanzen durchaus den Tatbestand des Handeltreibens erfüllen, wenn der Anbau auf die gewinnbringende Veräußerung der herzustellenden Betäubungsmittel zielt (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2008 - BGH Aktenzeichen 3 StR 409/08). Jedoch hatte nach den Feststellungen in dem zuerst angemieteten Haus der Anbau nicht begonnen. Auch ein versuchter Anbau, zu dem es regelmäßig erst mit dem Heranschaffen des Saatgutes an die vorbereitete Fläche kommt, liegt nicht vor. Unter dem strafrechtlichen Aspekt des Anbaus von Betäubungsmitteln im Sinne des § 29 I Nr.1 BtMG liegt daher in der Anmietung des Hauses lediglich eine straflose Vorbereitungshandlung. Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts kann aus der weiten Auslegung, den der Begriff des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in der Rechtsprechung erfahren hat, nicht geschlossen werden, dass das Anmieten des Hauses dennoch für die Haupttäter allein deswegen bereits vollendetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge darstellt, weil geplant war, in dem Haus Cannabis anzubauen, das gewinnbringend weiterveräußert werden sollte. Allein dieser Plan ändert nichts daran, dass es sich bei der Anmietung des Hauses bei wertender Betrachtung lediglich um eine typische Vorbereitungshandlung weit im Vorfeld des beabsichtigten Güterumsatzes handelt.“
(
BGH, Beschluss vom 15.2.2011 – 3 StR 491/10)

Zur Strafbarkeit wegen versuchten unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln:

Anders als in den seitens der Verteidigung zitierten amtsgerichtlichen Entscheidungen liegt hier in dem Umstand, dass das Betäubungsmittel an eine dem Angeklagten mittels seines Namens zuzuordnende Postfach-Adresse versandt wurde, zunächst ein starkes Indiz dafür vor, dass dies mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht ohne seine Kenntnis und Billigung erfolgt ist. Dem Besteller der Betäubungsmittel muss zwingend bekannt gewesen sein, dass auf den Namen des Angeklagten ein Postfach mit einer bestimmten Nummer registriert ist; dies kann ihm mit hoher Wahrscheinlichkeit nur vom Angeklagten mitgeteilt worden sein. Betäubungsmittel auf einen fremden Namen zu bestellen und diese dann vor Auslieferung „abzufangen" ist bei einem Versand an ein Postfach weitgehend ausgeschlossen, weshalb aufgrund der Feststellungen des Amtsgerichts diese Option fernliegt. Den möglichen Schluss, dass damit der Angeklagte der Besteller bzw. Erwerber der Betäubungsmittel war, belegt dieses Beweisergebnis aber noch nicht hinreichend. Der versuchte unerlaubte Erwerb von Betäubungsmitteln setzt gemäß §§ 29 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 BtMG voraus, dass der Erwerber die eigene tatsächliche und freie Verfügungsgewalt über die Betäubungsmittel auf abgeleitetem Wege, d.h. im einverständlichen Zusammenwirken mit dem Vorbesitzer, erlangen will. Hieran fehlt es, wenn der Täter das Rauschgift nur zur (kurzfristigen) Verwahrung erhalten soll; dies gilt auch dann, wenn er ggf. nach Abschluss der Verwahrung einen Teil des Rauschgiftes als Entlohnung bekommt.“
(
OLG Stuttgart, Beschluss vom 08.10.2019 – 2 RVs Ss 469/19)

Wie verhält es sich mit der Strafbarkeit bloßen Eigenkonsums?

Grundsätzlich ändert der Umstand, dass eine Tätigkeit lediglich dem Eigenverbrauch dient, nichts an ihrer Strafbarkeit. Allerdings kann das Gericht gemäß § 29 V BtMG von einer Bestrafung nach den Absätzen 1, 2 und 4 absehen, wenn der Täter die Betäubungsmittel lediglich zum Eigenverbrauch in geringer Menge anbaut, herstellt, einführt, ausführt, durchführt, erwirbt, sich in sonstiger Weise verschafft oder besitzt.

So wird eine Gesetzeslücke geschlossen, die dadurch entsteht, dass das BtMG generalpräventiv wirken soll und so eine Verfahrenseinstellung gemäß §§ 153ff. StPO nur schwer möglich ist. Zweck dieser Norm ist es, Erst- und Gelegenheitskonsumenten nicht zu bestrafen, sondern sie nach Möglichkeit zu einer Therapie zu veranlassen, da der reine Eigenkonsum in der Regel eine bloße Selbstschädigung darstellt:

Die Vorschrift des § § 29 V BtMG soll Probierern und Gelegenheitskonsumenten, nicht aber Dauerkonsumenten und ständigen Kleinverbrauchern, entgegenkommen. In Ausnahmefällen kann diese Bestimmung auch auf einen einschlägig Verurteilten oder einen Dauerkonsumenten angewendet werden (…). In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird nahezu durchgängig die Auffassung vertreten, dass in den Fällen des Besitzes geringer Mengen Betäubungsmittel zum Eigenkonsum selbst bei einschlägig vorbestraften abhängigen Drogenkonsumenten die Verhängung einer Freiheitsstrafe nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt und eine verhängte Strafe sich im untersten Bereich des Strafrahmens des § § 29 I BtMG zu bewegen hat (OLG Oldenburg, Beschluss vom 11. Dezember 2009 – 1 Ss 197/09; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 27. September 2006 - III - 104/06 - 1 Ss 166/06, III - 104/06, 1 Ss 166/06 -; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14. April 2003 – 3 Ss 54/03 -; BGH, Beschluss vom 16. Februar 1998 - BGH 5 StR 7/98; OLG Hamm, Beschlüsse vom 28.12.2011, III - 2 RVs 45/11 und vom 6. März 2014, III - 1 RVs 10/14).“
(OLG Hamm,
Beschluss vom 29.07.2014 – 2 RVs 33/14)

Voraussetzung ist indes stets, dass zum Eigenverbrauch eine nur „geringe Menge“ betroffen ist. Eine geringe Menge entspricht etwa drei „Konsumeinheiten“ (OLG Hamm, Beschluss vom 29.07.2014 – 2 RVs 33/14; OLG Dresden, Urteil vom 31.08.2015 – 2 OLG 21 Ss 210/15). Eine Konsumeinheit ist diejenige Menge, die zur Herbeiführung eines Rauschzustandes benötigt wird, wobei die häufigste Konsumform zugrunde zu legen ist. Hierzu exemplarisch die vom BGH angestellten Erwägung für die Bestimmung der nicht geringen Menge des Mittels Methamphetamin:

Bei der Festlegung der im Hinblick auf Gefährlichkeit und Toxizität des Metamfetamins realistischen nicht geringen Menge stützt sich der Senat auf die inzwischen in ständiger Rechtsprechung vom Bundesgerichtshof angewandte Methode. Danach kann die nicht geringe Menge eines Betäubungsmittels wegen der in illegalen Betäubungsmitteln sehr unterschiedlichen Wirkstoffgehalte grundsätzlich nicht anders festgesetzt werden als durch ein Vielfaches des zum Erreichen eines stofftypischen Rauschzustandes erforderlichen jeweiligen Wirkstoffs (Konsumeinheit). (…). Für die Konsumform des Rauchens ist daher eine Gleichsetzung in der Wirkung mit Crack (Kokain-Base) gerechtfertigt. Diese gefährlichste Konsumform fällt für die Festlegung des Grenzwerts erheblich ins Gewicht, denn Drogenkonsumenten wollen naturgemäß eine möglichst schnelle und starke Wirkung erzielen. Das Rauchen ist demgemäß heute die gängigste Methode des Metamfetaminkonsums. Für den Erst- oder Gelegenheitskonsumenten ist nach den Darlegungen beider Sachverständiger eine Konsumeinheit von 20 bis 30 mg Metamfetamin-Base schon sehr hoch angesetzt und schon bei oraler Aufnahme mit der Gefahr erheblicher gesundheitlicher Beeinträchtigungen verbunden. Ausgehend von den bei der Festlegung des Grenzwertes der nicht geringen Menge bei Amfetamin zu Grunde gelegten 200 Konsumeinheiten ergibt sich bei einer für nicht Metamfetamingewöhnte sehr hohen Einzeldosis von 25 mg Metamfetamin-Base eine Gesamtwirkstoffmenge von 200 x 25 mg = 5 Gramm, d. h. 6,2 Gramm Metamfetaminhydrochlorid als Grenze der nicht geringen Menge [25 mg Metamphetaminhydrochlorid entsprechen ca. 20 mg Metamfetamin-Base].“
(
BGH, Urteil vom 03.12.2008 – 2 StR 86/08)

Nach diesen Grundsätzen wurden in der Rechtsprechung auf die folgenden bekannten Betäubungsmittel die folgenden Grenzwerte angewendet:

Im Jahr 2010 war der BGH gezwungen, sich umfangreich zu den Grenzwerten diverser Benzodiazepine zu äußern (BGH, Urteil vom 2.11.2010 – 1 StR 581/09)

  • Alphrazolam: 240 mg
  • Clonazepam: 480 mg
  • Diazepam: 2.400 mg
  • Lorazepam: 480 mg
  • Lormatezepam: 360 mg
  • Midazolam: 1.800 mg
  • Oxazepam: 7.200 mg
  • Temazepam: 4.8000 mg
  • Tetrazepam: 4.8000 mg
  • Triazolam: 120 mg
  • Zolpidem: 4.8000 mg

Die Grenzwerte für synthetisches Cannabinoid variieren je nach konkreter chemischer Zusammensetzung zwischen 1g und 6g.(BGH, Urteil vom 20.9.2017 – 1 StR 64/17; BGH, Urteil vom 14.1.2015 – 1 StR 302/13; BGH, Urteil vom. 5.11.2015 – 4 StR 124/14).

Welche Umstände wirken sich straferhöhend aus?

Gemäß § 29 III BtMG droht eine Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr, wenn ein sogenannter „besonders schwerer Fall“ vorliegt. Ein solcher liegt in der Regel vor, wenn der Täter gewerbsmäßig handelt oder die Gesundheit mehrerer Menschen gefährdet. Gemäß §§ 30f. BtMG drohen schärfere Strafen insbesondere auch dann, wenn der Täter Mitglied einer Bande ist.

Eine Bande besteht aus mehreren Mitgliedern, die sich zur fortgesetzten Begehung bestimmter Taten verbunden haben (vgl. § 30a BtMG). Die Anwendung dieser Definition im Betäubungsmittelstrafrecht ist insbesondere deshalb problematisch, weil von ihrem Wortlaut auch die „Anbaugemeinschaft“ umfasst ist. So wurden beispielsweise fünf Studenten wegen bandenmäßigen unerlaubten Anbaus von Betäubungsmitteln zu Freiheitsstrafen von 15-18 Monaten verurteilt (LG Augsburg, Urteil vom 11.07.2011 – 1 KLs 303 Js 127958/10), weil sie zur Deckung ihres Eigenbedarfs auf einer nahegelegenen Waldlichtung Cannabis anpflanzten und gemeinsam pflegten. Die Revision dreier Täter wurde vom BGH mit Beschluss vom 12.01.2012 – 1 StR 559/11) als unbegründet zurückgewiesen. Eine sogenannte teleologische Reduktion des Bandenbegriffs wurde bislang in der Rechtsprechung nicht vorgenommen, obwohl die Anwendung des § 30a BtMG in einem solchen Fall sowohl „unverhältnismäßig“ als auch sinnwidrig scheint, da die Norm der Bekämpfung der organisierten Kriminalität dienen soll, welcher durch Anbau zum Eigenverbrauch aber sogar Umsatz entzogen wird.

Der Fall verdeutlicht, dass die möglichen strafrechtlichen Konsequenzen von Verstößen gegen das Betäubungsmittelrecht nicht zu unterschätzen sind. Eine erfolgreiche Beratung oder Vertretung im Gebiet des Betäubungsmittelstrafrechts erfordert aufgrund der hier dargestellten zahlreichen Tatbestandsalternativen und Rechtsprechungsvielfalt neben allgemeinem straf- und strafprozessrechtlichem Wissen vertiefte Kenntnisse auch in diesem speziellen Nebengebiet. Es ist daher dringend zu empfehlen, im Fall der Fälle einen entsprechend spezialisierten Anwalt zu kontaktieren.

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