Was versteht man unter Steuerstrafrecht? Wo ist das Steuerstrafrecht geregelt?
Das Steuerstrafrecht ist ein strafrechtliches „Nebengebiet“. Gemeint sind damit alle Gesetze, die mögliche Sanktionen für Verstöße gegen das Steuersteuerrecht enthalten. In erster Linie relevant sind die §§ 369 ff. Abgabenordnung (AO). Zentrale Norm des Steuerstrafrechts ist § 370 AO, welcher den Tatbestand der Steuerhinterziehung normiert.
§ 370 AO: Was ist Steuerhinterziehung?
Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
1. den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht,
2. die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt oder
3. pflichtwidrig die Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern unterlässt
und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.
(§ 370 I AO)
Verfassungsrechtliche Grundlagen
Nach herrschender und in der Rechtsprechung ständig vertretenen Meinung ist das durch § 370 AO zu schützende Rechtsgut das staatliche Interesse am vollständigen und rechtzeitigen Aufkommen der Steuern (vgl. BGH, Beschluss vom 23.03.1994 – 5 StR 91/94). Die Rechtsprechung geht zudem davon aus, dass es sich bei § 370 AO um einen sogenannten „Blanketttatbestand“ – also einen Tatbestand, der das verbotene Verhalten nicht vollständig umschreibt, sondern in Verbindung mit einem Steuergesetz angewendet werden muss – handelt. Blanketttatbestände sind insbesondere im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot nicht unproblematisch. Hierzu führte das Bundesverfassungsgericht in bezüglich einem Fall der Steuerhinterziehung mit verdeckter Parteienfinanzierung aus:
„Die Vorschrift bestimmt, daß sich derjenige strafbar macht, der den Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht und dadurch Steuern verkürzt. Ob eine solche Steuerverkürzung vorliegt, richtet sich nach den Vorschriften des materiellen Steuerrechts. Insoweit handelt es sich bei § AO § 370 AO um ein Blankettgesetz. Blankettgesetze genügen dem in Art. 103 II GG verankerten Bestimmtheitsgrundsatz nur dann, wenn sich die möglichen Fälle der Strafbarkeit schon aufgrund eines Gesetzes, auf das Bezug genommen wird, voraussehen lassen. Nach Art. 104 I GG hat der Gesetzgeber beim Erlaß einer Strafvorschrift, die Freiheitsstrafe androht, mit hinreichender Deutlichkeit selbst zu bestimmen, was strafbar sein soll, und Art und Maß der Freiheitsstrafe im förmlichen Gesetz festzulegen. Die Voraussetzungen der Strafbarkeit sowie Art und Maß der Strafe müssen entweder im Blankettstrafgesetz selbst oder in einer anderen gesetzlichen Vorschrift, auf die das Blankettstrafgesetz Bezug nimmt, hinreichend deutlich umschrieben werden. Diesen Anforderungen genügen die im vorliegenden Fall anzuwendenden steuerrechtlichen Vorschriften.“
(BVerfG, Beschluss vom 15.10.1990 – 2 BvR 385/87; vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.04.2010 – 2 BvR 871/04)
Neben dem sogenannten Bestimmtheitsgebot (s.o.) sind § 370 AO und das konkretisierende Steuergesetz als Strafnorm auch vom strafrechtlichen Analogieverbot erfasst – dürfen also im Falle einer planwidrigen Regelungslücke nicht auf einen vergleichbaren, aber von der Regelung nicht erfassten, Sachverhallt angewendet werden (BVerfG, Beschluss vom 19.12.2002 - 2 BvR 666/02).
Steuerbegriff und Taterfolg
Der Begriff „Steuer“ ist in § 3 I AO definiert: „Steuern sind Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft; die Erzielung von Einnahmen kann Nebenzweck sein.“ Gemäß § 3 II sind auch Realsteuern (Grund- und Gewerbesteuer) „Steuern“ im Sinne der Norm. Die Kirchensteuer ist von § 370 AO nicht unmittelbar erfasst. Erforderlich ist, dass ein Landesgesetz (Kirchensteuergesetz) auf § 370 AO verweist (vgl. BGH, Beschluss vom 17. 4. 2008 - 5 StR 547/07).
Die Verwirklichung des § 370 AO setzt einen Taterfolg – die Steuerverkürzung oder das Erlangen ungerechtfertigter Steuervorteile – voraus. Diese Alternativen sind allerdings kaum voneinander abgrenzbar, da jede Steuerverkürzung im Sinne des § 370 IV AO für den Zahlungspflichtigen einen ungerechtfertigten Steuervorteil einbringt. Dementsprechend nimmt der BGH eine Überschneidung beider Taterfolge an (BGH, Beschluss vom 22. 11. 2012 - 1 StR 537/12). Steuern sind verkürzt, wenn sie nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden (§ 370 AO, s.o.). Ein Steuervorteil ist ungerechtfertigt, wenn dem Steuerpflichtigen bei korrekter Anwendung des geltenden Rechts kein Anspruch auf den Vorteil zustünde.
Tathandlungen
Als Tathandlung kommt gemäß § 370 I Nr.1 AO das Machen unrichtiger oder unvollständiger Angaben gegenüber Behörden über steuerrechtlich erhebliche Tatsachen voraus. Angaben macht, wer eine ausdrückliche oder schlüssige Erklärung mit einem bestimmten Informationsgehalt abgibt. Die Abgabe solcher Angaben wird regelmäßig bei Abgabe der Steuererklärung gemäß § 150 AO getätigt. Unrichtig ist eine Angabe, wenn ihr Inhalt nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Unvollständig ist eine Angabe, wenn der Erklärende seinen gesetzlichen Mitteilungspflichten nicht gerecht wird. Im Hinblick auf die Vollständigkeit ist daher eine Orientierung am gesetzlich vorgeschriebenen Umfang der Erklärung sinnvoll. Neben der Steuerhinterziehung durch aktives Handeln kann eine Steuerhinterziehung auch durch Unterlassen erfolgen, indem der Täter die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuererhebliche Tatsachen in Unkenntnis setzt (§ 370 I Nr.2 AO). Als Täter kommt somit nur in Betracht, wen eine entsprechende Erklärungspflicht trifft:
„Der Senat erkennt ausdrücklich an, dass das LG mit sorgfältiger Begründung gegen die bisherige Rechtsprechung des BGH Stellung bezogen und damit eine Änderung der Rechtsprechung angeregt hat. Gleichwohl hält er an der Rechtsprechung fest, dass Täter einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen gem. § 370 I Nr.2 AO nur derjenige sein kann, der selbst zur Aufklärung steuerlich erheblicher Tatsachen besonders verpflichtet ist. Denn der Wortlaut dieser Strafnorm lässt eine andere Auslegung nicht zu (vgl. Art.103 II GG). Nach Auffassung des Senats bezieht sich das Merkmal „pflichtwidrig“ allein auf das Verhalten des Täters (bei dem es sich indes nicht um den Steuerpflichtigen handeln muss), nicht allgemein auf dasjenige irgendeines Tatbeteiligten. Damit kommt eine Zurechnung fremder Pflichtverletzungen auch dann nicht in Betracht, wenn sonst nach allgemeinen Grundsätzen Mittäterschaft vorliegen würde.“
(BGH, Urteil vom 9. 4. 2013 – 1 StR 586/12; vgl. zur Gegenansicht: Urteil des LG Mannheim vom 11.06.2012)
Entsprechende Erklärungspflichten ergeben sich insbesondere aus:
- § 25 III EStG i.V.m. §§ 56, 60 EStDV (Einkommenssteuererklärung)
- § 41a I EstG (Lohnsteueranmeldung)
- § 45a EstG (Kapitalertragssteueranmeldung)
- § 48a EstG (Bauabzugssteuer-Anmeldung)
- § 31 KStG (Körperschaftssteuererklärung)
- § 14a GewStG (Gewerbesteuererklärung)
- § 18 UstG (Umsatzsteuererklärung)
- §§ 30f. ErbStG (Erbschafts-/Schenkungssteuererklärung)
- §§ 18f. GrEStG (Grundstückserwerb)
Form und Inhalt der Steuererklärung richten sich nach § 150 AO. Es empfiehlt sich daher, den amtlich vorgegebenen Vordruck zu verwenden. Aus strafrechtlicher Sicht ist allerdings zu beachten, dass strafrechtlich das Merkmal der Unkenntnis der Behörde entscheidende Relevanz hat. Beseitigt der Steuerpflichtige diese Unkenntnis in gleich welcher Form, so liegt keine Strafbarkeit vor, obgleich sich verwaltungsrechtliche Schwierigkeiten ergeben werden. Bedeutung erlangen kann zudem die Anzeigepflicht gemäß § 153 I AO. Demnach ist der Erklärende grundsätzlich zur Berichtigung seiner Erklärung verpflichtet, wenn er ihre Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit vor Ablauf der Festsetzungsfrist erkennt. Die Tatvariante gemäß § 370 I Nr.3 AO (Nicht-Verwendung von Steuerzeichen) regelt einen praktisch kaum relevanten Sonderfall, welcher ausschließlich im Verbrauchssteuerrecht (insb. §§ 11f. TabakStG) eine Rolle spielt.
Aus den drei Tatbestandsvarianten des § 370 AO folgt, dass die bloße Nichtzahlung – auch bereits rechtskräftig festgesetzter – Steuern keine Steuerhinterziehung (sondern allenfalls eine Ordnungswidrigkeit) ist:
„Taterfolg der Steuerhinterziehung gem. § 370 IAO ist – im Gegensatz zum Vergehen der gewerbs- oder bandenmäßigen Schädigung des Umsatzsteueraufkommens gem. § § 26c UStG – nicht die Nichtentrichtung geschuldeter Umsatzsteuer. Vielmehr besteht er im Verkürzen von Steuern oder im Erlangen nicht gerechtfertigter Steuervorteile für sich oder einen anderen. Steuern sind namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden (§ 370 IV AO).“
(BGH, Beschl. v. 6.4.2016 – 1 StR 431/15)
Allerdings entfällt dementsprechend eine Strafbarkeit wegen der Unterlassung notwendiger Angaben gegenüber der Finanzbehörde nicht durch schlichte Zahlung der Steuer.
Gemäß § 370 II AO ist die nur versuchte Steuerhinterziehung ebenfalls strafbar.
Das subjektive Element
Eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung erfordert, dass der Täter vorsätzlich – also mit Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung – handelt. Ein sogenannter „Eventualvorsatz“ reicht dabei aus:
„Für eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung gemäß § AO § 370 AO bedarf es keiner Absicht oder eines direkten Hinterziehungsvorsatzes; es genügt, dass der Täter die Verwirklichung der Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes für möglich hält und billigend in Kauf nimmt.“
(BGH, Urteil vom 16.12.2009 – 1 StR 491/09)
Dementsprechend kommt ein den Vorsatz ausschließender Tatbestandsirrtum in Betracht, wenn der Steuerpflichtige glaubt, es bestehe kein Steueranspruch. Hält er das Bestehen eines Anspruchs aber für möglich und findet sich mit der Möglichkeit einer Steuerverkürzung ab, so handelt er mit Eventualvorsatz:
„Nach st. Rspr. des BGH gehört zum Vorsatz der Steuerhinterziehung, dass der Täter den Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach kennt oder zumindest für möglich hält und ihn auch verkürzen will. Es genügt, dass der Täter die Verwirklichung der Merkmale des gesetzlichen Tatbestands für möglich hält und billigend in Kauf nimmt (Eventualvorsatz). Der Hinterziehungsvorsatz setzt keine sichere Kenntnis des Steueranspruchs voraus. Für bedingten Vorsatz reicht es aus, dass der Täter anhand einer laienhaften Bewertung der Umstände erkennt, dass ein Steueranspruch existiert, auf den er einwirkt, sog. „Parallelwertung in der Laiensphäre“. Nimmt der Steuerpflichtige irrtümlich an, ein Steueranspruch sei nicht entstanden, liegt ein Tatbestandsirrtum vor, der gemäß § 16 I 1 StGB den Vorsatz. Hält er die Existenz eines Steueranspruchs für möglich und lässt er die Finanzbehörden über die Besteuerungsgrundlagen gleichwohl in Unkenntnis, findet er sich also mit der Möglichkeit der Steuerverkürzung ab, handelt er dagegen mit bedingtem Vorsatz. Insoweit ist das Vorstellungsbild des Täters entscheidend. Die Prüfung der Frage, ob ein Tatbestandsirrtum bestanden hat, bedarf einer Gesamtwürdigung aller Umstände, die für das Vorstellungsbild des Täters von Bedeutung waren. Die Annahme einer vorsätzlichen Tatbegehung setzt aber nicht die Feststellung voraus, dass sich der Steuerpflichtige konkrete Vorstellungen über die korrekte steuerrechtliche Einordnung des von ihm nicht oder unrichtig erklärten Sachverhaltes gemacht hat.“
(BGH, Urteil vom 10.1.2019 – 1 StR 347/18)
Lässt sich nicht nachweisen, dass der Täter ausreichende Kenntnis von der steuerlichen Rechtslage hatte, kommt eine Ordnungswidrigkeit in Form einer leichtfertigen Steuerverkürzung gemäß § 378 AO in Betracht:
„Leichtfertig handelt, wer die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den besonderen Umständen des Einzelfalls und seinen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen verpflichtet und imstande ist, obwohl sich ihm aufdrängen musste, dass dadurch eine Steuerverkürzung eintreten. Jeder Steuerpflichtige muss sich über diejenigen steuerlichen Pflichten unterrichten, die ihn im Rahmen seines Lebenskreises treffen. Dies gilt in besonderem Maße in Bezug auf solche steuerrechtlichen Pflichten, die aus der Ausübung eines Gewerbes oder einer freiberuflichen Tätigkeit erwachsen. Bei einem Kaufmann sind deshalb jedenfalls bei Rechtsgeschäften, die zu seiner kaufmännischen Tätigkeit gehören, höhere Anforderungen an die Erkundigungspflichten zu stellen als bei anderen Steuerpflichtigen. In Zweifelsfällen hat er von sachkundiger Seite Rat einzuholen.“
(BGH Urt. v. 17.12.2014 – 1 StR 324/14)
Soweit sich der Steuerpflichtige auf eine Verantwortlichkeit des Steuerberaters beruft, ist zu berücksichtigen, dass der Steuerberater die ihm vom Mandanten übermittelten Informationen in der Regel ungeprüft verwenden darf, da dies seinem individuellen Kenntnisstand entspricht. Der Steuerpflichtige darf aber darauf vertrauen, dass der der Berater die Steuerklärung richtig und vollständig vorbereitet, wenn ihm die dafür erforderlichen Informationen vollständig übermittelt wurden. Ist dies der Fall, scheidet Vorsatz des Steuerpflichtigen aus. Handelt der Steuerberater leichtfertig, muss sich das der Steuerpflichtige nicht zurechnen lassen:
„Der Tatbestand des § 378 I Nr.1 AO setzt voraus, dass der Täter den Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige Angaben macht. Bei der von dem Gesetzgeber intendierten engen Auslegung des Tatbestands begeht der Steuerberater keine Ordnungswidrigkeit nach § § 378 AO, wenn er die Steuererklärung seines Mandanten lediglich vorbereitet und diese vom Steuerpflichtigen unterzeichnet und eingereicht wird, weil es an eigenen Angaben des Steuerberaters gegenüber dem Finanzamt fehlt (…). Durch die Einreichung der vom Steuerpflichtigen unterzeichneten Steuererklärung hat nicht der Steuerberater, sondern der Steuerpflichtige entsprechend seiner steuerrechtlichen Verpflichtung Angaben gegenüber dem Finanzamt gemacht. Es ist seine Erklärung, für die er mit seiner Unterschrift die Verantwortung übernommen hat, nicht die des Steuerberaters. Dies gilt selbst im Falle eines sog. Mitwirkungsvermerks des Steuerberaters, weil sich die Mitwirkung bei der Anfertigung der Steuererklärung auf die Vorbereitung der Steuererklärung des Steuerpflichtigen beschränkt und eine vom Steuerberater gegenüber seinem Mandanten geschuldete und erbrachte Leistung darstellt. Der Steuerberater hat [den Steuerpflichtigen] auch nicht (…) über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen. (…). Im vorliegenden Fall hat der Kläger seinen Steuerberater mit der Gewinnermittlung und der Erstellung der Einkommensteuererklärung beauftragt. Er hat ihm die hierfür erforderlichen Unterlagen vollständig überlassen. (…) Der Kläger hätte auch bei gewissenhafter und ihm zumutbarer Prüfung nicht erkennen müssen, dass die von ihm unterschriebene Einkommensteuererklärung unrichtig war. Denn hierzu hätte er die Erfassung der Einnahmen und Ausgaben im Einzelnen nachprüfen müssen. Dies konnte jedoch von dem Kläger, der als selbständiger Arzt eine Praxis betreibt, nicht erwartet werden. Der Kläger handelte danach nicht leichtfertig. Dem Kläger kann auch das leichtfertige Handeln des Steuerberaters und dessen Fachangestellter weder nach straf- oder bußgeldrechtlichen noch nach steuerrechtlichen Grundsätzen zugerechnet werden.“
(BFH, Urteil vom 29.10.2013 – VIII R 27/10)
Rechtsfolge
Die Strafandrohung für eine vollendete Steuerhinterziehung beträgt eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe. Liegt gar ein sogenannter „besonders schwerer Fall“ der Steuerhinterziehung gemäß § 371 III AO vor, scheidet die Möglichkeit einer bloßen Geldstrafe aus. Die Strafandrohung beträgt dann sechs Monate bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe. Gemäß § 56 StGB können Freiheitsstrafen nur bis zu einer Gesamtstrafe von bis zu zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden. Hinterzogene Steuern sind nachzuzahlen und gemäß § 235 AO zu verzinsen. Hinzu treten unter Umständen ernste berufsrechtliche Konsequenzen: Steuerschulden können eine „gewerberechtliche Unzuverlässigkeit“ und Untersagung der Gewerbeausübung gemäß § 35 GewO nach sich ziehen (BVerwG, Urteil vom 02.02.1982 – 1 C 17.79). Einem Beamten droht bei Verurteilung wegen Steuerhinterziehung die Entlassung (BVerwG, Beschl. v. 27.12.2017 – 2 B 18/17). Anwälten, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern kann gegebenenfalls ebenso die Zulassung entzogen werden wie Ärzten und Apothekern die Approbation. Ist die Steuerhinterziehung der Hauptzweck eines zivilrechtlichen Vertrags, so ist dieser gemäß § 138 BGB nichtig.
Was ist eine Selbstanzeige gemäß § 371 AO?
Wer gegenüber der Finanzbehörde zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt, wird wegen dieser Steuerstraftaten nicht nach § 370 bestraft. Die Angaben müssen zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart, mindestens aber zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre erfolgen.
(§ 371 I AO)
Eine wirksame Selbstanzeige gemäß § 371 AO hat strafbefreiende Wirkung für jede vollendete oder versuchte Steuerhinterziehung. Es handelt sich um einen sogenannten „persönlichen Strafaufhebungsgrund“. Das bedeutet, dass eine Selbstanzeige nur demjenigen zugutekommt, der die Anforderungen der Selbstanzeige erfüllt. Andere Beteiligte als der Erklärende „profitieren“ also nicht (BGH, Urteil vom 24.10.1984 - 3 StR 315/84). Hat bereits ein Strafverfahren begonnen, führt § 371 AO nicht zur Einstellung des Verfahrens, sondern zu einem Freispruch (OLG Frankfurt, Urteil vom 18. 10. 1961 - 1 Ss 854/61).
Rechtspolitischer Hintergrund
Die Möglichkeit zur Selbstanzeige trägt zum einen dem Interesse des Staates an der Erschließung bisher verborgener Steuerquellen, zum anderen der Rückkehr des Täters zur „Steuerehrlichkeit“ Rechnung:
„Diese im Verzicht auf den staatlichen Strafanspruch liegende Privilegierung des Steuerstraftäters gegenüber anderen Straftätern bedarf einer doppelten Rechtfertigung: Zum einen sollen verborgene Steuerquellen erschlossen werden; zum anderen soll dem Steuerhinterzieher ein Anreiz gegeben werden, zur Steuerehrlichkeit zurückzukehren. Aus fiskalischen Gründen soll für den Steuerhinterzieher ein Anreiz geschaffen werden, von sich aus den Finanzbehörden bisher verheimlichte Steuerquellen durch wahrheitsgemäße Angaben zu erschließen. Allein fiskalische Interessen an der Entrichtung hinterzogener Steuern können diese Privilegierung aber schwerlich rechtfertigen. Hinzukommen muss die Rückkehr zur Steuerehrlichkeit; diese soll honoriert werden.“
(BGH, Beschluss vom 20. 5. 2010 - 1 StR 577/09)
Die Selbstanzeige besteht gegebenenfalls neben einem Rücktritt vom Versuch gemäß § 24 StGB. Auf andere Straftaten als die Steuerhinterziehung hat eine Selbstanzeige jedoch keinen Einfluss:
„Die Zweckbestimmung [s.o.] und die entsprechende Ausgestaltung des § 371 AO begrenzen notwendig die Geltung auf solche Steuerverfehlungen, die durch unrichtige, unvollständige oder unterlassene Steuerangaben begangen sind. Im Hinblick auf alle anderen Straftaten muss die Vergünstigung versagt bleiben. Dies ergibt sich auch aus einem Vergleich mit §24 StGB. Tritt der Täter unter den im Gesetz genannten Voraussetzungen von einer versuchten Straftat zurück, wird er insoweit straffrei. Hat er jedoch gleichzeitig eine weitere (vollendete) Straftat begangen, verbleibt es bei der Strafbarkeit wegen dieser. Der Täter einer Steuerstraftat ist gegenüber anderen Straftätern bereits besser gestellt, weil er bei einer versuchten Steuerhinterziehung neben der Möglichkeit des Rücktritts gem. § 24 StGB auch die Möglichkeit einer Selbstanzeige gem. § 371 AO hat, um straflos zu werden. Darüber hinaus ist die Selbstanzeige auch noch bei vollendeter Steuerhinterziehung möglich. Es ist kein Grund ersichtlich, den Umfang der Strafbefreiung bei der Selbstanzeige gem. § 371 AO weiter zu fassen als bei § 24 StGB und den Steuerstraftäter noch weitergehend zu bevorzugen.“
(BGH, Urteil vom 5. 5. 2004 - 5 StR 548/03)
Voraussetzungen der Straffreiheit
Die Selbstanzeige muss zwecks Wirksamkeit keiner bestimmten Form genügen, im Interesse der Beweisbarkeit empfiehlt sich aber die Schriftform. Gemäß § 371 III AO ist Bedingung für den Eintritt der Straffreiheit, dass die hinterzogenen Steuern nebst Zinsen innerhalb der dem Täter bestimmten angemessenen Frist nachgereicht werden.
Neben der Abgabe einer Selbstanzeigeerklärung durch den Täter und Nachzahlung (sogenannte „positive Straffreiheitsvoraussetzungen“) enthält § 371 II AO Sperrgründe, die gerade nicht gegeben sein dürfen (sogenannte „negative Straffreiheitsvoraussetzungen“):
Straffreiheit tritt nicht ein, wenn
1. bei einer der zur Selbstanzeige gebrachten unverjährten Steuerstraftaten vor der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung
a) dem an der Tat Beteiligten, seinem Vertreter, dem Begünstigten im Sinne des § 370 Absatz 1 oder dessen Vertreter eine Prüfungsanordnung nach § 196 bekannt gegeben worden ist, beschränkt auf den sachlichen und zeitlichen Umfang der angekündigten Außenprüfung, oder
b) dem an der Tat Beteiligten oder seinem Vertreter die Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens bekannt gegeben worden ist oder
c) ein Amtsträger der Finanzbehörde zur steuerlichen Prüfung erschienen ist, beschränkt auf den sachlichen und zeitlichen Umfang der Außenprüfung, oder
d) ein Amtsträger zur Ermittlung einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit erschienen ist oder
e) ein Amtsträger der Finanzbehörde zu einer Umsatzsteuer-Nachschau nach § 27b des Umsatzsteuergesetzes, einer Lohnsteuer-Nachschau nach § 42g des Einkommensteuergesetzes oder einer Nachschau nach anderen steuerrechtlichen Vorschriften erschienen ist und sich ausgewiesen hat oder
2. eine der Steuerstraftaten im Zeitpunkt der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung ganz oder zum Teil bereits entdeckt war und der Täter dies wusste oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen musste,
3. die nach § 370 Absatz 1 verkürzte Steuer oder der für sich oder einen anderen erlangte nicht gerechtfertigte Steuervorteil einen Betrag von 25.000 Euro je Tat übersteigt, oder
4. ein in § 370 Absatz 3 Satz 2 Nummer 2 bis 6 genannter besonders schwerer Fall vorliegt.
Der Sinn dieser Sperrgründe, insbesondere der § 371 III Nr.1 und Nr.2, ergibt sich mit Blick auf den rechtspolitischen Hintergrund des Instituts der Selbstanzeige (s.o.). Soweit die Selbstanzeige dem Staat bislang unerkannte Steuerquellen erschließen soll, kann sie sinnvollerweise nur solange zur Straffreiheit führen wie der Staat ihrer dazu bedarf. Hat der Staat die Steuerquelle bereits entdeckt oder steht die Entdeckung unmittelbar bevor, besteht kein Grund zur Privilegierung des Täters mehr. Könnte auch dann noch mit strafbefreiender Wirkung Selbstanzeige eingereicht werden, wenn die Strafverfolgung schon begonnen hat oder ein konkretes Risiko der Strafverfolgung besteht, würde die Norm ihren präventiven Zweck verfehlen. Ein Strafverfahren ist im Sinne des § 371 III Nr.1 lit.b eingeleitet, „sobald die Polizei die Finanzbehörde, die Polizei, die Staatsanwaltschaft, einer ihrer Ermittlungspersonen oder der Strafrichter eine Maßnahme trifft, die erkennbar darauf abzielt, gegen jemanden wegen einer Steuerstraftat strafrechtlich vorzugehen“ (§ 397 I AO).
Fazit
Die hier vorgenommene, hoffentlich einen Überblick ermöglichende, Darstellung der praktisch bedeutendsten Normen des deutschen Steuerstrafrechts lässt erahnen wie unübersichtlich und komplex das zugrundeliegende Recht auch aufgrund seiner Regelungsvielfalt ist. Eine erfolgreiche Beratung oder Vertretung in Steuerstrafsachen erfordert daher neben allgemeinem strafrechtlichem Wissen starke Kenntnisse im speziellen Steuerrecht.