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Abmahnung als 28 Seiten PDF-Dokument
Achtung: Der Beitrag kann die rechtliche Beratung im Einzelfall nicht ersetzen!
Die Frage, wer, wann, wieso abmahnen darf ist nach wie vor umstritten. Seit der Einführung der DSGVO ist das Thema der Abmahnbarkeit immer wieder im Fokus. Eine höchstrichterliche Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs steht noch aus.
Besonders umstritten ist, ob und in welchem Umfang Wettbewerber, Wirtschaftsverbände oder Verbraucherschutzorganisationen Verstöße gegen die DSGVO ahnden dürfen.
Update 08.10.2024: Der EUGH entschied am 04.10.2024 in der Sache C-21/23 - Lindenapotheke, dass Mitbewerber Datenschutzverstöße in Bezug auf die Verletzung von Informationspflichten und Einwilligungen abmahnen können und die DSGVO keine Sperrwirkung habe, mehr unter https://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2024-10/cp2401…
Wichtig zu bewerten bei der Frage der Abmahnfähigkeit von Verstößen gegen die DSGVO ist, ob diese Verstöße unter das Wettbewerbsrecht fallen oder nicht.
„Es wird die Frage diskutiert, ob die Durchsetzungsregelungen der DSGVO eine abschließende unionsrechtliche Regelung darstellen oder ob im jeweils nationalen Recht Erweiterungen zulässig sind. Es geht darum, ob der nationale Gesetzgeber über die Öffnungsklausel des Art. 80 Abs. 2 DSG VO hinaus zusätzliche Durchsetzungsregelungen aufstellen darf. Vor allem wird diskutiert, ob die Gerichte wegen eines Vorrangs des Unionsrechts daran gehindert sind, bestehende Regelungen des deutschen Rechtes anzuwenden, die zusätzliche Rechtsbehelfe gewähren könnten.“ (LG Wiesbaden, Urteil vom 5. November 2018 - 5 O 214/18; Hervorhebungen nicht im Original)
Nach dem § 3a UWG, sind „Marktverhaltensregelungen“ abmahnbar. Die Kernfrage lautet also: Sind die Vorschriften der DSGVO als solche „Marktverhaltensregelungen“ einzustufen.
Eine Marktverhaltensregel ist laut BGH:
Eine Vorschrift, die dem Schutz von Rechten, Rechtsgütern oder sonstigen Interessen von Marktteilnehmern dient, ist eine Marktverhaltensregelung, wenn das geschützte Interesse gerade durch die Marktteilnahme (…) berührt wird. (BGH, Urteil vom 8. Oktober 2015, Az.: I ZR 225/13; Hervorhebungen nicht im Original)
Wenn die Verstöße gegen die DSGVO als Marktverhaltensregelungen eingestuft werden, würde dies bedeuten, dass grundsätzlich Abmahnungen auch von Wettbewerbern oder Verbänden ausgesprochen werden dürfen.
Fraglich ist also am Ende, ob die Regelungen dafür da sind den Markt und seine Teilnehmer zu schützen, oder geht es bei der DSGVO primär bzw. ausschließlich um den Schutz der personenbezogenen Daten.
In der Rechtsprechung gibt es derzeit eine uneinheitliche Linie, ob DSGVO-Verstöße als „Marktverhaltensregeln“ eingestuft werden und folglich von Mitbewerbern abgemahnt werden können.
Ansicht 1: Es handelt sich bei den Regelungen des DSGVO nicht um solche, die als Marktregelungen interpretiert werden können.
Das LG Wiesbaden, LG Bochum und das LG Stuttgart haben in ihren Entscheidungen klargestellt, dass sie die Abmahnfähigkeit von Verstößen gegen die DSGVO verneinen.
Das Gericht schließt sich der Auffassung an, dass die Datenschutzgrundverordnung abschließend ist. Hierfür spricht, dass die Datenschutzgrundverordnung eine detaillierte Regelung der Sanktionen enthält. Nach Art. 57 VO (EU) 2016/679 ist die Durchsetzung Aufgabe der Aufsichtsbehörden. Hinzukommen in den Art. 77 ff. VO (EU) 2016/679 Regelungen über Rechtsbehelfe. Nach Art. 79 VO (EU) 2016/679 hat jede betroffene Person, also die Person, in deren Datenschutzrechte vermeintlich eingegriffen wurde, das Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf. Die Vertretung der Betroffenen ist in Art. 80 VO (EU) 2016/679 geregelt. (LG Stuttgart Urteil vom 20.05.2019 - Az.: 35 0 68/18 KfH; Hervorhebungen nicht im Original)
Dies bedeutet, dass keine weiteren Rechtsbehelfe außerhalb der DSGVO zulässig sind. Somit wären Abmahnungen über das Wettbewerbsrecht ausgeschlossen. Diese Auffassung beruht auf der Ansicht, dass die DSGVO bereits konkrete Rechtsbehelfe für Verstöße vorsieht, die von betroffenen Personen oder Aufsichtsbehörden genutzt werden müssen. Eine wettbewerbsrechtliche Abmahnung wäre in diesem Fall ein unzulässiger Eingriff.
Wenn aber in der Datenschutzgrundverordnung eine abschließende Regelung erfolgt ist, so kann man eine Durchsetzung über das UWG auch nicht mit einer anderen Zielrichtung des Wettbewerbsrechts. Andernfalls würde die differenzierteRegelung in der Datenschutzgrundverordnung konterkariert werden, was mit dem Vorrang europäischen Rechts nicht in Einklang gebracht werden kann. (LG Stuttgart Urteil vom 20.05.2019 - Az.: 35 0 68/18 KfH; Hervorhebungen nicht im Original)
Ansicht 2: Es handle sich bei den Regelungen der DSGVO auch Teils um solche, welche marktregelnden Charakter enthalten.
Auf der anderen Seite gibt es Gerichte wie das LG Würzburg sowie die OLGs Hamburg und Stuttgart, die eine Abmahnbarkeit grundsätzlich bejahen.
Eine Einschränkung bestehender Befugnisse zur Rechtsdurchsetzung war nicht bezweckt. Vielmehr sollte durch die Datenschutz-Grundverordnung ersichtlich nur ein Mindeststandard für den Rechtsschutz der betroffenen Person und desjenigen, dem durch Verstöße gegen die Verordnung ein Schaden entstanden ist, geregelt werden.(…) Die Klagebefugnis der Verbände gemäß § 8 Absatz 3 Nr. 2 UWG fügt sich in den Wertungsrahmen der Datenschutz-Grundverordnung ein. Die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen durch Mitbewerber und Wettbewerbsverbände hat sich als schlagkräftiges Instrument bewährt. (OLG Stuttgart Urteil v. 27.02.2020 - Az.: 2 U 257/19; Hervorhebungen nicht im Original)
Diese Gerichte sind der Ansicht, dass Verstöße gegen einige DSGVO Artikel auch durchaus als Verstöße gegen Marktverhaltensregeln eingestuft werden können. Insbesondere wird dies bei fehlenden oder fehlerhaften Datenschutzerklärungen relevant, wie es im Fall des OLG Stuttgart verhandelt wurde, sieht das Gericht einen klaren Wettbewerbsbezug. Mehr dazu weiter unten im Artikel
Denn diese Verstöße würden die Marktteilnehmer, in diesem Fall die Verbraucher, in ihrer Entscheidungsfindung möglicherweise beeinflussen.
Der entscheidende Faktor ist die Rechtsprechung des EuGH.
Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 80 II DS-GVO dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung, nach der ein Verband zur Wahrung von Verbraucherinteressen gegen den mutmaßlichen Verletzer des Schutzes personenbezogener Daten ohne entsprechenden Auftrag und unabhängig von der Verletzung konkreter Rechte betroffener Personen Klage mit der Begründung erheben kann, dass gegen das Verbot der Vornahme unlauterer Geschäftspraktiken, ein Verbraucherschutzgesetz oder das Verbot der Verwendung unwirksamer Allgemeiner Geschäftsbedingungen verstoßen worden sei, nicht entgegensteht, sofern die betreffende Datenverarbeitung die Rechte identifizierter oder identifizierbarer natürlicher Personen aus dieser Verordnung beeinträchtigen kann. (EuGH (3. Kammer) Urteil vom 28.04.2022; Hervorhebungen nicht im Original)
Der EUGH hat also bereits entschieden, dass Verbraucherverbände über das Verbandsklagerecht Datenschutzverstöße verfolgen können. Dies bedeutet, dass Verbände im Namen der Verbraucher Abmahnungen aussprechen und Klagen einreichen können. Diese Entscheidung öffnet die Tür für eine weite Auslegung der Abmahnbarkeit von DSGVO.
Fraglich ist, ob DSGVO-Verstöße auch unabhängig von einer individuellen Betroffenheit der Person Wettbewerbsrechtlich nach dem UWG abgemahnt werden könnten.
Ein zentraler Aspekt in der Diskussion ist, dass die Artikel der DSGVO nicht pauschal als Marktverhaltensregeln eingestuft werden können. Vielmehr ist eine differenzierte Betrachtung jeder einzelnen Vorschrift notwendig. So gibt es Normen in der DSGVO, die dem Verbraucherschutz dienen und somit als Marktverhaltensregel gelten könnten.
Artikel 13 DSGVO als Beispiel, welcher Informationspflichten beim Erheben personenbezogener Daten auferlegt. Die Verpflichtung, eine korrekte Datenschutzerklärung bereitzustellen, soll sicherstellen, dass Verbraucher fundierte Informationen über die Nutzung von Dienstleistungen und Angeboten erhalten und Entscheidungen basierend darauf treffen können. Das OLG Stuttgart hat in seinem Urteil festgestellt, dass das Fehlen dieser Informationen einen klaren Wettbewerbsbezug hat und somit abgemahnt werden kann.
Insbesondere enthält Artikel 80 DSGVO keine abschließende Regelung für die privatrechtliche Rechtsdurchsetzung. (OLG Stuttgart Urteil v. 27.02.2020 - Az.: 2 U 257/19; Hervorhebungen nicht im Original)
Demgegenüber gibt es jedoch auch Vorschriften in der DSGVO, die ausschließlich dem Schutz der persönlichen Rechte des Einzelnen dient und nicht als Grund zur Abmahnung nicht betroffener missbraucht werden sollte. Da diese Regeln keinen unmittelbaren Bezug zum Wettbewerb aufweisen. Hier wäre eine Abmahnung aus wettbewerbsrechtlicher Sicht schwer zu rechtfertigen.
Besonders wichtig in dieser ganzen Diskussion ist ein Urteil des OLG Stuttgart vom 27. Februar 2020, welches Mehrfach oben bereits zitiert wurde. In diesem Fall hatte ein Wirtschaftsverband gegen einen Händler geklagt, der Angebote ohne Datenschutzerklärung inseriert hatte. Während das Landgericht die Klage zunächst abgewiesen hatte, kam das OLG zu einem anderen Ergebnis. Das Gericht entschied, dass die DSGVO zwar spezifische Rechtsbehelfe vorsieht, diese jedoch nicht abschließend seien. Abmahnungen nach dem UWG seien weiterhin möglich, so das Urteil.
Das OLG Stuttgart argumentierte, dass die Klagebefugnis der Verbände nach § 8 III Nr. 2 UWG im Einklang mit der DSGVO stehe.
Dies bedeutet, dass DSGVO-Verstöße unter bestimmten Umständen durchaus als wettbewerbswidrig gelten können und somit abgemahnt werden dürfen.
Die Frage, ob DSGVO-Verstöße abmahnfähig sind, bleibt weiterhin offen. Unterschiedliche Gerichte haben unterschiedliche Auffassungen. Einige sehen die Regelungen der DSGVO als abschließend und lehnen somit die Möglichkeit zur Abmahnung ab. Während andere Gerichte einen Bezug zum Wettbewerbsrecht herstellen und somit Tür und Tor für Mitbewerber öffnen auf Basis des UWG abzumahnen.
Besonders bei Verstößen gegen die Informationspflichten sind die Gerichte grundsätzlich einer Meinung. Die Gerichte gehen dann davon aus, dass es sich um eine Marktverhaltensregel handelt. Vor allem wenn zum Beispiel eine grob fehlerhafte oder gar eine fehlende Datenschutzerklärung zu beanstanden ist. Bis zum Ende des Jahres wird ein Urteil vom EuGH erwartet, welche alle aufgeworfenen Fragen zur Abmahnbarkeit von Datenschutz-Verstößen beantworten sollte, so dass endlich Klarheit in einer im Moment sehr undurchsichtigen Rechtslage geschaffen werden kann.
Es kann wohl davon ausgegangen werden, dass der EUGH den Entscheidungen der OLGs und LGs folgt und eine einzelne Betrachtung der Normen anschlägt, welche dazu führt, dass wohl einige Regelungen als solche Marktverhaltensregeln ausgelegt werden könnten und folglich eine Abmahnung auf Grundlage des Wettbewerbsrecht möglich werden könnte. Da es sich um eben so eine komplexe Rechtslage handelt, empfiehlt es sich einen auf das Datenschutzrecht spezialisierten Anwalt zu konsultieren, um auf der sicheren Seite zu bleiben.
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