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Empfangszuständigkeit des Rechtsanwalts und anwaltliches Umgehungsverbot nach § 12 BORA

Achtung: Der Beitrag kann die rechtliche Beratung im Einzelfall nicht ersetzen!

veröffentlicht am 10. September 2021 um 12:53
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Gemäß § 172 ZPO haben im Prozess Zustellungen an den bestellten Prozessbevollmächtigten – also den Rechtsanwalt - zu erfolgen. Gemäß § 87 I ZPO erlangt die Kündigung der Bevollmächtigung eines Anwalts gegenüber dem Gegner erst durch Anzeige des Erlöschens ihre Wirksamkeit.

Im Anwaltsprozess – also einem Prozess, in welchem die Parteien anwaltlich vertreten sein müssen – ist zusätzlich sogar die Bestellung eines anderen Anwalts erforderlich.

Empfangszuständigkeit bleibt bei Mandatsniederlegung bestehen

Der BGH begründet die Empfangszuständigkeit des Anwalts auch nach der Niederlegung eines
Mandats innerhalb eines Anwaltsprozesses folgendermaßen:

„Nach § 172 ZPO sind Zustellungen an den für den Rechtzug bestellten Prozessbevollmächtigten einer Partei zu bewirken. Diese Empfangszuständigkeit endet in Anwaltsprozessen nicht bereits mit der Niederlegung des Mandats, sondern erst durch die Anzeige der Bestellung eines anderen Anwalts (§ 87 ZPO). Bis ein neuer Prozessbevollmächtigter für den Rechtszug bestellt ist, haben im Anwaltsprozess Zustellungen zwingend an den bisherigen Prozessbevollmächtigten zu erfolgen […] Anders als sie meint, hat der Bundesgerichtshof in dieser Entscheidung nicht zum Ausdruck gebracht, dass einem ehemaligen Prozessbevollmächtigten im Anwaltsprozess auch bei Zustellungen die Möglichkeit offen stünde, diese anzunehmen oder abzulehnen.

Vielmehr hat er in dem genannten Beschluss ausgeführt, dass die Frage, ob ein ehemaliger Prozessbevollmächtigter noch als Vertreter der Partei anzusehen ist, nicht allgemein entschieden werden kann, sondern vom Sinn und Zweck der jeweils in Frage stehenden Einzelbestimmung abhängt. Maßgebend ist dabei insbesondere, ob die Interessen des (ehemaligen) Mandanten oder die des Gegners im Vordergrund stehen. Ausgehend von diesen Überlegungen ist ein Rechtsanwalt im Anwaltsprozess auch nach Mandatsniederlegung noch als Prozessbevollmächtigter im Sinne von § 172 ZPO anzusehen.“ (BGH, Beschluss vom 25.01.2011 – VIII ZR 27/10)

§ 12 BORA: Das anwaltliche Umgehungsverbot

Wendet sich der Rechtsanwalt dennoch direkt an die gegnerische Partei, können ihm berufsrechtliche Konsequenzen drohen. Gemäß § 12 I BORA (Berufsordnung für Rechtsanwälte) darf ein Rechtsanwalt nicht ohne Einwilligung des Rechtsanwalts eines anderen Beteiligten mit diesem unmittelbar Verbindung aufnehmen oder verhandeln (sogenanntes Umgehungsverbot).

Gemäß §§ 43, 74, 113 ff. BORA kann ein Verstoß gegen § 12 BORA zu einer Rüge oder zu anwaltsgerichtlichen Maßnahmen führen.

§ 12 BORA gilt nicht nur dann, wenn die Kontaktinitiative von dem Rechtsanwalt ausgeht, sondern auch, wenn sich die gegnerische Partei ihrerseits direkt an den Rechtsanwalt wendet.

Dieser darf sich auf ein solches Gespräch nur einlassen, wenn er sich zuvor vergewissert hat, dass die Gegenpartei nicht mehr anwaltlich vertreten wird. Ein Verstoß kann etwa im Rahmen von Verhältnismäßigkeitserwägungen zu berücksichtigen sein:

„Ruft der Arbeitnehmer, ein hochqualifizierter Akademiker, während eines laufenden Arbeitsgerichtsprozesses um eine leistungsabhängige Vergütung unter Umgehung seines eigenen Anwaltes den Anwalt des Arbeitgebers an und beschimpft diesen, dass er sich durch Verbreitung der Lügen und Verleumdungen des Arbeitgebers im Prozess lächerlich mache und seine Anwaltszulassung riskiere, so liegt darin ein Vorgang, der grundsätzlich als wichtiger Kündigungsgrund im Sinne von § 626 BGB geeignet ist. Lässt sich der Anwalt des Arbeitgebers entgegen dem Sinn und Zweck von § 12 BORA ca. 20 Minuten lang auf ein derartiges Telefonat ein, so liegt darin ein dem Arbeitgeber zuzurechnendes Mitverschulden, das eine auf den Anruf gestützte Kündigung unverhältnismäßig erscheinen lässt.“ (LAG Köln, Urteil vom 23.01.2014 – 7 Sa 97/13)

Allerdings hat ein Verstoß gegen § 12 BORA keinen Einfluss auf die Wirksamkeit von Rechtsgeschäften, Willenserklärungen oder sonstigen Rechtshandlungen, die in Folge des Verstoßes erklärt werden:

„Fehlt eine verbotseigene Rechtsfolgeregelung, sind Sinn und Zweck des verletzten Verbots entscheidend. Dies erfordert eine normbezogene Abwägung, ob es mit dem Sinn und dem Zweck des Verbots vereinbar oder unvereinbar ist, die durch das Rechtsgeschäft getroffene Regelung hinzunehmen bzw. bestehen zu lassen. Diese Prüfung ergibt, dass der Verstoß gegen das Verbot in § 12 I BORA nicht zur Nichtigkeit einer Einigung der Parteien führt, die ohne Kenntnis oder Erlaubnis des Rechtsanwalts der anderen Partei zu Stande gekommen ist. § 12 I BORA wendet sich nicht gegen den Inhalt des abgeschlossenen Rechtsgeschäfts, sondern gegen die Umstände seines Abschlusses. Schon dies spricht grundsätzlich gegen die Nichtigkeit des verbotswidrig zu Stande gekommenen Rechtsgeschäfts.

Zweck des Verbots sind der Schutz des gegnerischen Rechtsanwalts vor Eingriffen in dessen Mandatsverhältnis, der Schutz des gegnerischen Mandanten und der Schutz der Rechtsprechung vor der Belastung mit Auseinandersetzungen, die ihren Grund in Einlassungen der von ihrem Rechtsanwalt nicht beratenen Partei finden. Diese Zwecke gebieten es nicht, ein unter Verstoß gegen das in § 12 I BORA bestimmte Verbot zu Stande gekommenes Rechtsgeschäft als nichtig zu werten. Die Achtung von § 12 I BORA ist durch die standesrechtlichen Befugnisse der Rechtsanwaltskammern hinreichend gewährleistet. Gegen die Nichtigkeit eines insoweit verbotswidrig zu Stande gekommenen Rechtsgeschäfts spricht des Weiteren, dass sich das Verbot nicht an die Beteiligten des Rechtsgeschäfts richtet, sondern an ihre Rechtsanwälte. Ein Verstoß gegen § 12 I BORA kann im jeweiligen Fall immer nur von dem Rechtsanwalt eines der Beteiligten begangen werden. Das Verbot wirkt insofern einseitig und führt auch deshalb grundsätzlich nicht zur Nichtigkeit des verbotswidrig zu Stande gekommenen Rechtsgeschäfts.“ (BGH, Urteil vom 17.10.2003 – V ZR 429/02)

Inkassobüros dürfen Verbraucher trotzt § 12 BORA direkt anschreiben

Grundsätzlich darf der Mandant eines Rechtsanwalts von Inkassobüros, trotz seiner anwaltlichen Vertretung, in dieser Angelegenheit weiterhin direkt angeschrieben werden, um Zahlungsaufforderungen oder Mahnungen zu übermitteln (AG Düsseldorf, Urteil vom 06.01.2010 – 58 C 15403/09).

Es sei nicht zu beanstanden, dass so Druck auf den Schuldner ausgeübt werde, da ein berechtigtes Interesse an der Durchsetzung der wirtschaftlichen Interessen bestünde.

§ 12 BORA finde keine (analoge) Anwendung, da dort lediglich das Verhältnis der Rechtsanwälte zueinander beschrieben werde. Unzulässig ist die direkte Kontaktierung aber dann, wenn die vorgerichtlichen Maßnahmen ein nicht mehr hinnehmbares Ausmaß erreichen, was etwa bei der wöchentlichen Versendung von Mahnungen über einen längeren Zeitraum der Fall sei.

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