Kostenlosen Ratgeber zur Verteidigung gegen 
Abmahnung als 28 Seiten PDF-Dokument

Internetrecht: Wann liegt ein Rechtsmissbrauch bei einer Abmahnung vor?

Achtung: Der Beitrag kann die rechtliche Beratung im Einzelfall nicht ersetzen!

veröffentlicht am 19. November 2016 um 21:35

Urteil des OLG Hamm zum Rechtsmissbrauch bei Abmahnung zum Internet.

In seinem Urteil vom 28.04.2009, Az. 4 U 216/08, hat das OLG Hamm entschieden, dass die Abmahntätigkeiten eines Spielzeughändlers gegen seine Mitbewerber rechtsmissbräuchlich waren. Dabei stellt es die Voraussetzungen, wann eine Abmahnung gemäß §8 IV UWG rechtsmissbräuchlich ist, dar.

Massenhaftes Abmahnen allein genügt nach OLG Hamm nicht nach Internetrecht

Das OLG Hamm hatte im oben genannten Fall zu entscheiden, ob die Abmahnung eines Spielzeughändlers gegen einen seiner Konkurrenten eine rechtsmissbräuchliche Rechtsverfolgung nach §8 IV UWG darstellte. Im Wettbewerbsrecht haben Unternehmen die Möglichkeit Konkurrenten abzumahnen, wenn diese Handlungen vornehmen, die den lauteren Wettbewerb gefährden. Das ist jedoch unzulässig, wenn die Abmahnungen rechtsmissbräuchlich nach §8 IV UWG sind. Dieser Paragraph lautet:

Die Geltendmachung der in Absatz 1 bezeichneten Ansprüche ist unzulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich ist, insbesondere wenn sie vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen. In diesen Fällen kann der Anspruchsgegner Ersatz der für seine Rechtsverteidigung erforderlichen Aufwendungen verlangen. Weiter gehende Ersatzansprüche bleiben unberührt.

Im Fall des OLG Hamm hatte die Klägerin nach Feststellung des Gerichts insgesamt über 60 Abmahnungen an Mitbewerber verschickt, in denen sie ihnen u.a. Verstöße gegen das Irreführungsverbot vorwarf. Sie forderte dabei jeweils Gebühren in Höhe von ca. 860 € sowie einen pauschalen Schadensersatz in Höhe von zusätzlich 100 €. Zunächst stellt das OLG Hamm fest, dass allein die Anzahl der Abmahnungen noch kein Beleg für die Rechtsmissbräuchlichkeit ist:

Grundsätzlich ist […] zu berücksichtigen, dass die Abmahnpraxis von Mitbewerbern und Verbänden und die klageweise Anspruchsverfolgung dem Interesse (auch) der Allgemeinheit an der Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs dienen und deshalb, auch bei umfangreichen Tätigkeiten, insoweit für sich allein einen Missbrauch noch nicht hinreichend belegen (OLG Hamm, Urteil vom 28.4.2009, Az. 4 U 216/08, Große Zahl von Abmahnungen noch kein Rechtsmissbrauch)

Es müssten noch weitere Umstände hinzutreten. Im vorliegenden Fall lagen gleich mehrere Umstände vor, welche das Gericht zur Annahme bewogen die Abmahnungen seien rechtsmissbräuchlich erfolgt.

Grobes Missverhältnis zwischen Umfang des Geschäftsbetriebes und Anzahl der Abmahnungen

Der erste Umstand, der auf Rechtsmissbrauch hindeutete war das Missverhältnis zwischen dem Umfang des Geschäftsbetriebs der Abmahnerin (nach Feststellung des Gerichts ein kleines Unternehmen mit unter 100.000 € Umsatz) und der hohen Anzahl der Abmahnungen. Mit jeder Abmahnung entsteht ein Kostenrisiko, da im Falle einer unberechtigten Abmahnungen alle angefallenen Kosten von der abmahnenden Seite zu tragen sind. Im hier vorliegenden Fall summierte sich das Risiko auf einen Betrag, welcher den Jahresumsatz des Unternehmens überstieg. So führt das OLG Hamm aus (a.a.O.):

Die Kostenrisiken aus den fraglichen Abmahnvorgängen sind für die Antragstellerin immens. Diese sind mit ihrem eigentlichen Geschäftsumfang und dem Begehren nach einem sauberen Wettbewerb nicht mehr in Einklang zu bringen. Umgekehrt zeigt dies auch die Höhe der geforderten Abmahnkosten. Wenn man nur die geforderten Kosten für 60 Abmahnungen mit überschlägig 859,80 € (wie bei der vorliegenden Abmahnung) hochrechnet, so kommt man auf einen Betrag von jedenfalls 51.588,- € für einen im Kern begrenzten Zeitraum. Das Verhältnis Umsatz und Kosten erweist sich insgesamt als unverhältnismäßig. (OLG Hamm, Urteil vom 28.4.2009, Az. 4 U 216/08,Kostenrisiken von Abmahnungen) (Hervorhebungen nicht im Original)

Pauschale, nach OLG Hamm offensichtlich unbegründete Schadensersatzforderungen

Neben das oben geschilderte Missverhältnis traten die pauschalen Schadensersatzforderungen, die in den Abmahnungen gestellt wurden. So forderte die Abmahnerin pauschal 100 € Schadensersatz. Nach Rechtsauffassung des OLG Hamm war diese, in vielfachen Fällen gestellte, Schadensersatzforderung so offensichtlich unberechtigt und diente nur dazu, abgemahnte Mitbewerber zu Zahlungen zu animieren. Im Gerichtsverfahren wurde dann auch auf die Forderung verzichtet. Dazu das OLG Hamm (a.a.O.):

Zudem war in den fraglichen Fällen keineswegs das für einen Schadensersatzanspruch gemäß § 9 UWG erforderliche Verschulden angesprochen und geklärt.[…]. Dies zeigt, dass es ihr gerade und überwiegend um die Ausbeute von Kostenerstattungen durch die Gegner ging. Dies gilt umso mehr, als der fragliche Betrag von 100,- € auch der Höhe nach jeder Grundlage entbehrt. Denn wenn als Schaden tatsächlich eine erhebliche Umsatzeinbuße eingetreten wäre, wäre dieser Betrag belanglos und unzureichend. Soweit keine Umsatzeinbuße durch den Verstoß eingetreten ist, ist dieser Betrag insgesamt völlig ungerechtfertigt. (OLG Hamm, Urteil vom 28.4.2009, Az. 4 U 216/08, unberechtigte Schadensersatzforderungen) (Hervorhebungen nicht im Original)

Weitere Indizien für Rechtsmissbrauch nach Internetrecht

Zusätzlich fand das OLG Hamm in diesem Fall noch weitere Hinweise auf rechtsmissbräuchliches Verhalten. So mahnte sie in über 30 Fällen wegen eines Grundes ab, der offensichtlich an einem Softwarefehler der Internet-Auktionsplattform, auf dem die Geschäfte abgewickelt wurden, lag. Anstatt die Plattform zu informieren, um das Problem zu beheben, wurden nach Feststellung des Gerichts Mitbewerber abgemahnt! Hinzu kamen noch androhungsähnliche Passagen in der Abmahnung, die nach OLG Hamm jeglicher Grundlage entbehrten. Abschließend stellt das Gericht fest (a.a.O.):

Alsdann werden die abgemahnten Verkäufer ersichtlich in Bezug auf Fehler in Anspruch genommen, die gerade in großer Vielzahl bei F oder bei anderen Verkaufsforen vorhanden sind und die "massenhaft", sprich auch mit einem geringem Aufwand, parallel verfolgt werden können. Dabei ist zu konstatieren, dass die Antragstellerin selbstredend als Wettbewerberin ihrerseits grundsätzlich gegen entsprechende Wettbewerbsverstöße vorgehen und sich gegen die Angriffe ihrer Wettbewerber "wehren" kann. Indes zeigt vorliegend, wie ausgeführt, die Gesamtschau, dass bei der Rechtsverfolgung in der streitgegenständlichen Sache nicht Wettbewerbsinteressen, sondern vielmehr ein Gebührenerzielungsinteresse im Vordergrund stand. (OLG Hamm, Urteil vom 28.4.2009, Az. 4 U 216/08, Gewinnerzielungsinteresse des Abmahnenden) (Hervorhebungen nicht im Original)

Fazit: Eindeutig rechtsmissbräuchliches Vorgehen ist eher die Ausnahme nach dem Internetrecht

Unserer Ansicht nach stellt das Urteil des OLG Hamm wohl eher die Ausnahme dar. Im vorliegenden Fall handelte es sich wohl um einen eindeutigen Fall von Rechtsmissbrauch. Dennoch kann man hier, unserer Ansicht nach, gut sehen, auf was es ankommt, wenn eine rechtsmissbräuchliche Abmahnung im Wettbewerbsrecht in Frage kommt. Meist wird es wohl nicht so eindeutig sein, wie vorliegend der Fall.

Ob eine Abmahnung im Einzelfall rechtsmissbräuchlich ist, sollte unserer Ansicht nach von einem Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Wettbewerbs- bzw. IT-Recht überprüft werden!

Weitere für Sie wahrscheinlich interessante Artikel

Unterlassungserklärung in einigen Fällen als Schuldanerkenntnis gewertet?

Logo AID24 Rechtsanwaltskanzlei
veröffentlicht am 11. Dezember 2013 um 22:12
Das Landgericht Wiesbaden urteilte jüngst im Mai 2013, dass in einer Unterlassungserklärung ein Schuldanerkenntnis liege, unabhängig davon, ob diese ausdrücklich „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ geschehe: „ Die Beklagte ist der Auffassung, dass sich der von ihr abgegeben Unterwerfungserklärung

Beseitigung einer abgegebenen Unterlassungserklärung möglich?

Logo AID24 Rechtsanwaltskanzlei
veröffentlicht am 31. Mai 2014 um 15:05
Juristische Laien achten oft nur auf die in der Abmahnung geforderte Geldsumme. Sie übersehen dann, dass es sehr viel teurer werden kann, wenn man unüberlegt eine Unterlassungserklärung unterzeichnet und dem Gegener übersendet. Denn in Abmahnschreiben wollen die Abmahner meist nicht nur Geld für die

Empfangszuständigkeit des Rechtsanwalts und anwaltliches Umgehungsverbot nach § 12 BORA

Logo AID24 Rechtsanwaltskanzlei
veröffentlicht am 10. September 2021 um 12:09
Gemäß § 172 ZPO haben im Prozess Zustellungen an den bestellten Prozessbevollmächtigten – also den Rechtsanwalt - zu erfolgen. Gemäß § 87 I ZPO erlangt die Kündigung der Bevollmächtigung eines Anwalts gegenüber dem Gegner erst durch Anzeige des Erlöschens ihre Wirksamkeit. Im Anwaltsprozess – also
Rechtsanwalt Christoph Scholze
Fachanwalt für IT-Recht (Informationstechnologierecht)
RA Christoph Scholze
Logo Rechtsanwaltskammer Frankfurt am Main - Fortbildung Geprüft
Logo Qualität durch Fortbildung - Fortbildungszertifikat der Bundesanwaltskammer

TÜV geprüfter Datenschutzbeauftragter (DSB)
IHK geprüfter Informationssicherheitsbeauftrager (ISB)
Lehrbeauftragter Dozent bei der Thüringer Verwaltungsschule (TVS)
Tel.: +49 611 89060871

AID24 Rechtsanwaltskanzlei
in Erfurt, Jena, Wiesbaden und Frankfurt am Main

Kanzleibriefe

Gegenstandswert bei Urheberrechtsverletzung von Produktfotos auf eBay

Logo AID24 Rechtsanwaltskanzlei
veröffentlicht am 28. Januar 2024 um 21:01
Ermittlung des Gegenstandswertes bei Urheberrechtsverletzung auf ebay Der Streitwert, auch als „Gegenstandswert“ bezeichnet, wird durch den Angriffsfaktor bestimmt. Das bedeutet, dass sich der Streitwert danach richtet, wie hoch die Qualität der Verletzungshandlung ist, ob sie vorsätzlich oder

Schadenersatz KSP: Forderung der KSP Kanzlei für DPA wegen unerlaubter Bildnutzung

Logo AID24 Rechtsanwaltskanzlei
veröffentlicht am 22. Januar 2024 um 19:01
Schadensersatzforderung KSP Kanzlei für DPA Picture Alliance wegen unerlaubter Nutzung urheberrechtlich geschützter Bilder Details der Schadensersatzforderung Der AID24 Rechtsanwaltskanzlei liegen mehrere Schreiben der KSP Kanzlei Dr. Seegers, Dr. Frankenheim Rechtsanwaltsgesellschaft mbH vor

AV-Verträge generieren, statt Muster oder Vorlagen fehlerhaft umzuschreiben

Logo AID24 Rechtsanwaltskanzlei
veröffentlicht am 08. Dezember 2023 um 12:12
Erstellen Sie AV-Verträge, anstatt Vorlagen oder diese möglicherweise falsche um zu schreiben Auftragsverarbeitungsverträge, eine Anleitung zum AV-Vertrag-Generator Die Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen einer Bestellung erfordert unter anderem eine datenschutzrechtliche Dokumentation
KOSTENFREIE ERSTEINSCHÄTZUNG 
24h* +49 611 89060871
(*soweit technisch verfügbar)