Internetrecht: Wann liegt ein Rechtsmissbrauch bei einer Abmahnung vor?

Achtung: Der Beitrag kann die rechtliche Beratung im Einzelfall nicht ersetzen!

Urteil des OLG Hamm zum Rechtsmissbrauch bei Abmahnung zum Internet.

In seinem Urteil vom 28.04.2009, Az. 4 U 216/08, hat das OLG Hamm entschieden, dass die Abmahntätigkeiten eines Spielzeughändlers gegen seine Mitbewerber rechtsmissbräuchlich waren. Dabei stellt es die Voraussetzungen, wann eine Abmahnung gemäß §8 IV UWG rechtsmissbräuchlich ist, dar.

Massenhaftes Abmahnen allein genügt nach OLG Hamm nicht nach Internetrecht

Das OLG Hamm hatte im oben genannten Fall zu entscheiden, ob die Abmahnung eines Spielzeughändlers gegen einen seiner Konkurrenten eine rechtsmissbräuchliche Rechtsverfolgung nach §8 IV UWG darstellte. Im Wettbewerbsrecht haben Unternehmen die Möglichkeit Konkurrenten abzumahnen, wenn diese Handlungen vornehmen, die den lauteren Wettbewerb gefährden. Das ist jedoch unzulässig, wenn die Abmahnungen rechtsmissbräuchlich nach §8 IV UWG sind. Dieser Paragraph lautet:

Die Geltendmachung der in Absatz 1 bezeichneten Ansprüche ist unzulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich ist, insbesondere wenn sie vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen. In diesen Fällen kann der Anspruchsgegner Ersatz der für seine Rechtsverteidigung erforderlichen Aufwendungen verlangen. Weiter gehende Ersatzansprüche bleiben unberührt.

Im Fall des OLG Hamm hatte die Klägerin nach Feststellung des Gerichts insgesamt über 60 Abmahnungen an Mitbewerber verschickt, in denen sie ihnen u.a. Verstöße gegen das Irreführungsverbot vorwarf. Sie forderte dabei jeweils Gebühren in Höhe von ca. 860 € sowie einen pauschalen Schadensersatz in Höhe von zusätzlich 100 €. Zunächst stellt das OLG Hamm fest, dass allein die Anzahl der Abmahnungen noch kein Beleg für die Rechtsmissbräuchlichkeit ist:

Grundsätzlich ist […] zu berücksichtigen, dass die Abmahnpraxis von Mitbewerbern und Verbänden und die klageweise Anspruchsverfolgung dem Interesse (auch) der Allgemeinheit an der Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs dienen und deshalb, auch bei umfangreichen Tätigkeiten, insoweit für sich allein einen Missbrauch noch nicht hinreichend belegen (OLG Hamm, Urteil vom 28.4.2009, Az. 4 U 216/08, Große Zahl von Abmahnungen noch kein Rechtsmissbrauch)

Es müssten noch weitere Umstände hinzutreten. Im vorliegenden Fall lagen gleich mehrere Umstände vor, welche das Gericht zur Annahme bewogen die Abmahnungen seien rechtsmissbräuchlich erfolgt.

Grobes Missverhältnis zwischen Umfang des Geschäftsbetriebes und Anzahl der Abmahnungen

Der erste Umstand, der auf Rechtsmissbrauch hindeutete war das Missverhältnis zwischen dem Umfang des Geschäftsbetriebs der Abmahnerin (nach Feststellung des Gerichts ein kleines Unternehmen mit unter 100.000 € Umsatz) und der hohen Anzahl der Abmahnungen. Mit jeder Abmahnung entsteht ein Kostenrisiko, da im Falle einer unberechtigten Abmahnungen alle angefallenen Kosten von der abmahnenden Seite zu tragen sind. Im hier vorliegenden Fall summierte sich das Risiko auf einen Betrag, welcher den Jahresumsatz des Unternehmens überstieg. So führt das OLG Hamm aus (a.a.O.):

Die Kostenrisiken aus den fraglichen Abmahnvorgängen sind für die Antragstellerin immens. Diese sind mit ihrem eigentlichen Geschäftsumfang und dem Begehren nach einem sauberen Wettbewerb nicht mehr in Einklang zu bringen. Umgekehrt zeigt dies auch die Höhe der geforderten Abmahnkosten. Wenn man nur die geforderten Kosten für 60 Abmahnungen mit überschlägig 859,80 € (wie bei der vorliegenden Abmahnung) hochrechnet, so kommt man auf einen Betrag von jedenfalls 51.588,- € für einen im Kern begrenzten Zeitraum. Das Verhältnis Umsatz und Kosten erweist sich insgesamt als unverhältnismäßig. (OLG Hamm, Urteil vom 28.4.2009, Az. 4 U 216/08,Kostenrisiken von Abmahnungen) (Hervorhebungen nicht im Original)

Pauschale, nach OLG Hamm offensichtlich unbegründete Schadensersatzforderungen

Neben das oben geschilderte Missverhältnis traten die pauschalen Schadensersatzforderungen, die in den Abmahnungen gestellt wurden. So forderte die Abmahnerin pauschal 100 € Schadensersatz. Nach Rechtsauffassung des OLG Hamm war diese, in vielfachen Fällen gestellte, Schadensersatzforderung so offensichtlich unberechtigt und diente nur dazu, abgemahnte Mitbewerber zu Zahlungen zu animieren. Im Gerichtsverfahren wurde dann auch auf die Forderung verzichtet. Dazu das OLG Hamm (a.a.O.):

Zudem war in den fraglichen Fällen keineswegs das für einen Schadensersatzanspruch gemäß § 9 UWG erforderliche Verschulden angesprochen und geklärt.[…]. Dies zeigt, dass es ihr gerade und überwiegend um die Ausbeute von Kostenerstattungen durch die Gegner ging. Dies gilt umso mehr, als der fragliche Betrag von 100,- € auch der Höhe nach jeder Grundlage entbehrt. Denn wenn als Schaden tatsächlich eine erhebliche Umsatzeinbuße eingetreten wäre, wäre dieser Betrag belanglos und unzureichend. Soweit keine Umsatzeinbuße durch den Verstoß eingetreten ist, ist dieser Betrag insgesamt völlig ungerechtfertigt. (OLG Hamm, Urteil vom 28.4.2009, Az. 4 U 216/08, unberechtigte Schadensersatzforderungen) (Hervorhebungen nicht im Original)

Weitere Indizien für Rechtsmissbrauch nach Internetrecht

Zusätzlich fand das OLG Hamm in diesem Fall noch weitere Hinweise auf rechtsmissbräuchliches Verhalten. So mahnte sie in über 30 Fällen wegen eines Grundes ab, der offensichtlich an einem Softwarefehler der Internet-Auktionsplattform, auf dem die Geschäfte abgewickelt wurden, lag. Anstatt die Plattform zu informieren, um das Problem zu beheben, wurden nach Feststellung des Gerichts Mitbewerber abgemahnt! Hinzu kamen noch androhungsähnliche Passagen in der Abmahnung, die nach OLG Hamm jeglicher Grundlage entbehrten. Abschließend stellt das Gericht fest (a.a.O.):

Alsdann werden die abgemahnten Verkäufer ersichtlich in Bezug auf Fehler in Anspruch genommen, die gerade in großer Vielzahl bei F oder bei anderen Verkaufsforen vorhanden sind und die "massenhaft", sprich auch mit einem geringem Aufwand, parallel verfolgt werden können. Dabei ist zu konstatieren, dass die Antragstellerin selbstredend als Wettbewerberin ihrerseits grundsätzlich gegen entsprechende Wettbewerbsverstöße vorgehen und sich gegen die Angriffe ihrer Wettbewerber "wehren" kann. Indes zeigt vorliegend, wie ausgeführt, die Gesamtschau, dass bei der Rechtsverfolgung in der streitgegenständlichen Sache nicht Wettbewerbsinteressen, sondern vielmehr ein Gebührenerzielungsinteresse im Vordergrund stand. (OLG Hamm, Urteil vom 28.4.2009, Az. 4 U 216/08, Gewinnerzielungsinteresse des Abmahnenden) (Hervorhebungen nicht im Original)

Fazit: Eindeutig rechtsmissbräuchliches Vorgehen ist eher die Ausnahme nach dem Internetrecht

Unserer Ansicht nach stellt das Urteil des OLG Hamm wohl eher die Ausnahme dar. Im vorliegenden Fall handelte es sich wohl um einen eindeutigen Fall von Rechtsmissbrauch. Dennoch kann man hier, unserer Ansicht nach, gut sehen, auf was es ankommt, wenn eine rechtsmissbräuchliche Abmahnung im Wettbewerbsrecht in Frage kommt. Meist wird es wohl nicht so eindeutig sein, wie vorliegend der Fall.

Ob eine Abmahnung im Einzelfall rechtsmissbräuchlich ist, sollte unserer Ansicht nach von einem Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Wettbewerbs- bzw. IT-Recht überprüft werden!

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