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Abmahnung als 28 Seiten PDF-Dokument
Achtung: Der Beitrag kann die rechtliche Beratung im Einzelfall nicht ersetzen!
Der AID24 Rechtsanwaltskanzlei liegt ein Schreiben der Siemens Industry Software GmbH („SISW“) aus dem Jahr 2021 vor.
Die Siemens Industry Software GmbH gibt in ihrem Schreiben an, dass sie für die Sicherstellung der Verwendung von Siemens-Software in Übereinstimmung mit den für die Siemens-Software geltenden Lizenzbedingungen, sowie lokalem und internationalem Urheberrecht, zuständig ist.
Die SISW habe Informationen erhalten, welche darlegen, dass das angeschriebene Unternehmen eine unlizenzierte SISW-Software auf einem Rechner installiert habe, welcher sich im Firmennetz eingeloggt hat.
Das Schreiben enthält verschiedene Rechnerdaten, wie die Client-Emaildomain, den Hostnamen, die MAC-Adresse und die unlizenzierte Software, wodurch es der SISW möglich sei, das angeschriebene Unternehmen mit dem Rechner in Verbindung zu bringen, welcher die unlizenzierte Software installiert haben soll.
Die SISW fordert daher das angeschriebene Unternehmen auf, die unlizenzierte Software innerhalb einer angegebenen Frist zu löschen.
In einem Telefonat wird dem angeschriebenen Unternehmen versichert, dass sich die Streitigkeit mit dem Löschen der Software erledigt hätte.
Dieser Forderung sei das angeschriebene Unternehmen nachgekommen und die unlizenzierte Software wäre von dem identifizierten Rechner gelöscht worden. Die SISW habe darauf bestanden, dass diese nach der vollzogenen Löschung eine Mitteilung darüber erhält.
Nach der Löschung der Software ergeht ein weiteres Schreiben der SISW an das Unternehmen. In diesem Schreiben gibt die SISW an, dass bereits der Besitz einer unlizenzierten Software eine Straftat sei und die SISW könne der Antwort des angeschriebenen Unternehmens entnehmen, dass die Software auf dem Rechner installiert worden ist.
Da die SISW an einer außergerichtlichen Einigung interessiert sei, bestehe die Möglichkeit im Rahmen einer Nachlizenzierung die Ansprüche zu erfüllen.
Die Höhe der Nachlizenzierung bestimme sich anhand des kommerziellen Kaufpreises der Software und den Kosten für 12 Monate Pflege und Support.
Man sei jedoch für alternative Höhen der Nachlizenzierung grundsätzlich offen.
Dem angeschriebenen Unternehmen ist eine Frist für die außergerichtliche Einigung gesetzt.
Für die Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Urheberrecht, muss zunächst ein Werk im Sinne des § 2 UrhG vorliegen. Eine Software kann ein nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG geschütztes Computerprogramm und somit ein Werk darstellen. Auch die Rechtsprechung hat die Urheberrechtfähigkeit von Computerprogrammen bestätigt.
„Computerprogramme gehören zum Bereich der Wissenschaft i. S. des § 1 UrhRG und sind daher dem Urheberrechtsschutz grundsätzlich zugänglich. In Betracht kommt - je nachdem, ob eine (symbol) sprachliche oder eine graphische Darstellung verwendet wird - ein Schutz als Schriftwerk (§ URHG § 2 URHG § 2 Absatz I Nr. 1 UrhRG) oder als Darstellung wissenschaftlicher oder technischer Art (§2 Absatz I Nr. 7 UrhRG).“ (BGH, Urteil vom 09.05.1985 - I ZR 52/83; NJW 1986, 192)
Zu den Anforderungen des Werkcharakters und der persönlichen geistigen Schöpfung entschied der BGH:
„Computerprogramme und ihre Vorstufen können grundsätzlich auch die für die Urheberrechtsschutzfähigkeit nach § 2 Absatz II UrhRG erforderliche persönliche geistige Schöpfung aufweisen. In den einzelnen Programmierungsphasen werden vom Systemanalytiker oder Programmierer Leistungen geistiger Art erbracht. Der geistige Gedankeninhalt findet seinen Niederschlag und Ausdruck in der Gedankenformung und -führung des dargestellten Inhalts und/oder der besonders geistvollen Form und Art der Sammlung, Einteilung und Anordnung des dargebotenen Stoffs. […] Für den Urheberrechtsschutz von Computerprogrammen und ihren Vorstufen kommt danach nur die Form und Art der Sammlung, Einteilung und Anordnung des Materials in Betracht. In diesem Bereich besteht ein hinreichender Spielraum für individuelle, eigenschöpferische Lösungsmöglichkeiten, und zwar in allen drei Entwicklungsphasen. Für die Problemanalyse, den Datenflußplan und Programmablaufplan ist dies heute überwiegend anerkannt.“ (BGH, Urteil vom 09.05.1985 - I ZR 52/83; NJW 1986, 192, Hervorhebungen nicht im Original)
Erfüllt die Software den Werkcharakter, dann richtet sich der Schutz nach dem § 69a UrhG. Grundsätzlich steht es dem Rechteinhaber frei im Rahmen einer Lizenzvereinbarung einem Lizenznehmer Nutzungsrechte nach § 31 UrhG an seinem Werk einzuräumen.
Es besteht die Möglichkeit ein einfaches oder ausschließliches Nutzungsrecht einzuräumen. Das einfache Nutzungsrecht kann mehreren Lizenznehmern eingeräumt werden, wohingegen das ausschließliche Nutzungsrecht nur an einen Lizenznehmer übertragen werden kann.
Sollte eine Software ohne das Einverständnis des Rechteinhabers genutzt, verbreitet oder vervielfältigt werden, kann dieser Ansprüche aus dem UrhG geltend machen. Dabei kommt gerade ein Schadenersatzanspruch nach § 97 Abs. 2 UrhG in Betracht.
Grundsätzlich gibt es verschiedene Möglichkeiten die Höhe des Schadensersatzes bei Verletzung der Urheberrechte zu berechnen. Zur Bestimmung des Schadensersatzes kann der tatsächlich entstandenen Schaden (§ 97 Abs. 2 S. 1 UrhG), der Verletzergewinns (§ 97 Abs. 2 S. 2 UrhG) oder die sogenannte Lizenzanalogie (§ 97 Abs. 2 S. 3 UrhG) berücksichtigt werden.
Im Rahmen der Lizenzanalogie wird die Höhe des Schadensersatzes daran bemessen, was der Verletzer hätte entrichten müssen, wenn er eine Lizenz eingeholt hätte.
Es findet jedoch keine Nachlizenzierung in Form eines nachträglich abgeschlossenen Lizenzvertrages statt und etwaige Unterlassungsanspruche bleiben daneben bestehen. Zu der Angemessenheit im Rahmen der Lizenzanalogie entschied beispielsweise das OLG Frankfurt:
„Die Kl. hat als Grundlage für die Schadensberechnung die Methode der Lizenzanalogie gewählt. Hierbei wird zur Berechnung des Schadens der Abschluss eines Lizenzvertrags zu angemessenen Bedingungen fingiert. Im Rahmen der Lizenzanalogie gelten als angemessen Lizenzgebühren, die verständige Vertragspartner vereinbart hätten. […] Zu berücksichtigen sind dabei Dauer, Art, Ort und Umfang der Verletzungshandlung, wie auch der Wert des verletzten Ausschließlichkeitsrechts.“ (OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 16.12.2014 – 11 U 27/14; GRUR-RR 2015, 233, Hervorhebungen nicht im Original)
Bei dem vorliegenden Schreiben der SISW handelt es sich nicht um das Schreiben einer Kanzlei und auch nicht um eine „klassische“ Abmahnung.
Für eine „klassische“ Abmahnung fehlt es vor allem an der Aufforderung eine Unterlassungserklärung abzugeben. Die Unterlassungserklärung hat nach der Rechtsprechung des BGH folgenden Zweck:
„Die Wiederholungsgefahr war zum Zeitpunkt der Abmahnung nicht entfallen. Die durch einen bereits begangenen Verstoß begründete tatsächliche Vermutung für das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr kann regelmäßig nur durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ausgeräumt werden.“ (BGH, Urteil vom 17. 7. 2008 - I ZR 219/05; GRUR 2008, 996, Hervorhebungen nicht im Original)
Zudem wurde festgestellt, dass auch Mandaten anderer Kanzleien ähnliche Schreiben der SISW bekommen haben. Die SISW macht grundsätzlich den Eindruck, an einer außergerichtlichen Einigung interessiert zu sein.
Dennoch sollte das Schreiben zunächst gründlich überprüft werden, bevor auf das Schreiben geantwortet und auf die Forderungen eingegangen wird. Vor allem die Höhe des Schadensersatzes auf Grundlage der Lizenzanalogie sollte auf ihre Angemessenheit geprüft werden.
Bei Erhalt eines solchen Schreibens empfiehlt es sich einen auf das IT- und Urheberrecht spezialisierten Anwalt zu kontaktieren.
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