Versicherungsrecht: Widerrufsrecht bei Lebensversicherungen die zwischen 1994 bis 2007 geschlossen wurden nutzen!

Achtung: Der Beitrag kann die rechtliche Beratung im Einzelfall nicht ersetzen!

Widerrufsrecht bei Lebensversicherungen aus den Jahren 1994 bis 2007 als "Widerrufsjoker" nutzen!

Viele Lebensversicherungsverträge, die zwischen dem 29.07.1994 und dem 31.07.2016 geschlossen wurden, enthalten mangelhafte Widerrufsbelehrungen und können nach der Rechtsprechung des BGH heute noch widerrufen werden. Betroffene können dadurch ihre eingezahlten Beiträge verzinst zurück erhalten und im Vergleich z.B. zu einer Kündigung viel Geld sparen.

§ 5a VVG alte Fassung findet keine Anwendung auf Lebensversicherungen

Der Grund für die Widerrufsmöglichkeit auch noch so viele Jahre nach Vertragsschluss liegt in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des BGH zum alten §5a VVG. Diese, zum 1.1.2008 aus dem Gesetz entfernte, Vorschrift sah vor, dass ein Widerruf von Versicherungen, die im sogenannten Policen-Modell geschlossen wurden, spätestens ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie ausgeschlossen sein sollte:

§ 5a VVG

(1) Hat der Versicherer dem Versicherungsnehmer bei Antragstellung die Versicherungsbedingungen nicht übergeben oder eine Verbraucherinformation nach § 10a des Versicherungsaufsichtsgesetzes unterlassen, so gilt der Vertrag auf der Grundlage des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der weiteren für den Vertragsinhalt maßgeblichen Verbraucherinformation als abgeschlossen, wenn der Versicherungsnehmer nicht innerhalb von vierzehn Tagen nach Überlassung der Unterlagen in Textform widerspricht. Bei Lebensversicherungsverträgen beträgt die Frist 30 Tage. (…)

(2) Der Lauf der Frist beginnt erst, wenn dem Versicherungsnehmer der Versicherungsschein und die Unterlagen nach Absatz 1 vollständig vorliegen und der Versicherungsnehmer bei Aushändigung des Versicherungsscheins schriftlich, in drucktechnisch deutlicher Form über das Widerspruchsrecht, den Fristbeginn und die Dauer belehrt worden ist. Der Nachweis über den Zugang der Unterlagen obliegt dem Versicherer. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs. Abweichend von Satz 1 erlischt das Recht zum Widerspruch jedoch ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie. (…)

(Hervorhebungen nicht im Original)

Absatz 1 Satz 1 enthält dabei die Beschreibung des Policen-Modells. In Absatz 2 Satz 4 findet sich der Ausschluss des Widerrufsrechts ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie. Diese Regelung wurde, soweit sie Lebens- und Rentenversicherungen betrifft, vom EuGH für europarechtswidrig erklärt (EuGH, C-209/12). Dieser Rechtsauffassung schloss sich anschließend der BGH an. In seinem Urteil vom 16.7.2004 (Az. IV ZR 76/11) entschied er:

2. Danach enthält § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a. F. eine planwidrige Regelungslücke, die richtlinienkonform dergestalt zu schließen ist, dass die Vorschrift im Bereich der Lebens- und Rentenversicherung und der Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung nicht anwendbar ist, aber auf die übrigen Versicherungsarten uneingeschränkt Anwendung findet.

3. Im Falle der Unanwendbarkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a. F. besteht das Widerspruchsrecht des Versicherungsnehmers, der nicht ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt worden ist und/oder die Versicherungsbedingungen oder eine Verbraucherinformation nicht erhalten hat, grundsätzlich fort. (BGH, Urteil vom 16.7.2014, Az. IV ZR 76/11, §5a VVG findet keine Anwendung auf Lebensversicherungen) (Hervorhebungen nicht im Original)

Diese Rechtsprechung ist mittlerweile auch durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bestätigt worden. Dieses hat die Verfassungsbeschwerden eines klagenden Versicherers mangels Erfolgsaussichten nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG, Beschluss vom 23.05.2016, Az. 1 BvR 2230/15 und 1 BvR 2231/15). Damit ist unserer Ansicht nach höchstrichterlich entschieden, dass ein „ewiges“ Widerrufsrecht für die im genannten Zeitraum geschlossenen Lebensversicherungsverträge besteht. Voraussetzung ist natürlich immer eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung. Ein solcher Fehler kann beispielsweise darin liegen, dass nicht über die nötige Form belehrt wurde, oder dass die Widerrufsbelehrung drucktechnisch nicht ausreichend hervorgehoben wurde. Beachtenswert ist auch, dass es nicht darauf ankommt, ob die Lebensversicherung im Policen- oder Antragsmodell geschlossen wurde. Nach Rechtsprechung des BGH (BGH, Urteil vom 17.12.2014, Az. IV ZR 260/11) kommt es nur darauf an, ob die Widerrufsbelehrung fehlerhaft ist oder nicht.

Rechtsfolgen des erfolgreichen Widerrufs

Ein erfolgreicher Widerruf führt dazu, dass der komplette Vertrag rückabgewickelt wird. Zum einen erhält der Versicherungsnehmer dadurch alle eingezahlten Beiträge wieder zurück. Zum anderen muss der Versicherer als Nutzungsersatz Zinsen zahlen. Zu beachten ist jedoch, dass der Versicherte beweisen muss, dass die Versicherung tatsächlich das Kapital genutzt hat. Ein pauschales Abstellen auf die gesetzlichen Verzugszinsen (5% über dem Basiszins, §288 I BGB) ist nach Rechtsprechung des BGH (BGH, Urteil vom 11.11.2015, Az. IV ZR 513/14) nicht möglich. Vielmehr kann nur ein Nutzungsersatz verlangt werden, der dem Gewinn entspricht, den der Versicherer mit den eingezahlten Beiträgen erzielt hat. Dabei kann, nach OLG Stuttgart (Urteil vom 23.10.2014, Az. 7 U 54/14), auf die Geschäftsberichte des Versicherers abgestellt werden (im konkreten Fall nahm das Gericht einen Zinssatz von 4,02% für den Zeitraum 2004-2012 an).

Der Versicherer kann im Falle eines Widerrufs folgende Posten vom Anspruch des Versicherten abziehen:

  • Den Rückkaufswert, falls er auf Grund eines bereits beendeten Vertrags schon ausgezahlt wurde
  • Risikoanteile, also Kosten, die für den Versicherungsschutz anfallen. Beispielsweise war für den Todesfall eine Versicherungssumme vereinbart oder der Vertrag wäre vom Versicherer weiterbezahlt worden, wenn der Versicherte berufsunfähig geworden wären
  • Steuern, also abgeführte Kapitalertragssteuern nebst Solidaritätszuschlag
  • Fonds-Verluste, nach einem Urteil des BGH (Urteil vom 11.11.2015, Az. IV ZR 513/14) kann der Versicherer bei fondsgebunden Lebensversicherungen die Verluste der Fonds anrechnen

Gerichte geben Verbrauchern in einer Vielzahl von Urteilen recht!

Im Folgenden eine Liste von Entscheidungen, in denen Gerichte von einer fehlerhaften Widerrufsbelehrung ausgegangen sind:

Widerrufsmöglichkeit bei neueren Verträgen?

Seit der Abschaffung des §5a VVG richtet sich der Widerspruch bei Versicherungen generell nach §8 VVG. Für Lebensversicherungen wird er dahingehend modifiziert, dass die 14-Tages-Frist durch eine 30-Tages-Frist ersetzt wird (§152 I VVG). §8 VVG lautet auszugsweise:

(1) Der Versicherungsnehmer kann seine Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen widerrufen. Der Widerruf ist in Textform gegenüber dem Versicherer zu erklären und muss keine Begründung enthalten; zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung.

(2) Die Widerrufsfrist beginnt zu dem Zeitpunkt, zu dem folgende Unterlagen dem Versicherungsnehmer in Textform zugegangen sind:

                           

 

1. der Versicherungsschein und die Vertragsbestimmungen einschließlich der Allgemeinen Versicherungsbedingungen sowie die weiteren Informationen nach § 7 Abs. 1 und 2 und

 

 

2. eine deutlich gestaltete Belehrung über das Widerrufsrecht und über die Rechtsfolgen des Widerrufs, die dem Versicherungsnehmer seine Rechte entsprechend den Erfordernissen des eingesetzten Kommunikationsmittels deutlich macht und die den Namen und die ladungsfähige Anschrift desjenigen, gegenüber dem der Widerruf zu erklären ist, sowie einen Hinweis auf den Fristbeginn und auf die Regelungen des Absatzes 1 Satz 2 enthält.

Der Nachweis über den Zugang der Unterlagen nach Satz 1 obliegt dem Versicherer. (…)

 (5) Die nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 zu erteilende Belehrung genügt den dort genannten Anforderungen, wenn das Muster der Anlage zu diesem Gesetz in Textform verwendet wird. Der Versicherer darf unter Beachtung von Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 in Format und Schriftgröße von dem Muster abweichen und Zusätze wie die Firma oder ein Kennzeichen des Versicherers anbringen. (Hervorhebungen nicht im Original)

Insbesondere Absatz 5 ist dabei interessant. Er enthält eine Gesetzlichkeitsfiktion. Wenn der Versicherer die Musterwiderrufsbelehrung verwendet, darf er darauf vertrauen, dass sie korrekt ist. Die Widerrufsfrist beginnt dann zu laufen. Die aktuelle Musterwiderrufsbelehrung findet man u.a. hier (gesetze-im-internet.de). Unserer Ansicht nach ist das der Grund, weshalb ein Widerruf bei Verträgen nach 2008 wohl in der Regel nicht möglich sein wird.

Fazit: „Ewiges“ Widerrufsrecht bei Lebensversicherungen besteht weiterhin für Verträge die zwischen den Jahren 1994 und 2007 geschlossen wurden!

Unserer Ansicht nach ist spätestens seit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts höchstrichterlich entschieden, dass ein „ewiges“ Widerrufsrecht bei Lebensversicherungsverträgen besteht, die zwischen 1994 und 2007 geschlossen wurden. Dadurch ergibt sich für die Versicherten weiterhin die Chance ihren Altvertrag zu widerrufen und eingezahlte Beiträge inklusive Zinsen zurückzuverlangen.

Ob ein Widerruf im Einzelfall noch möglich und sinnvoll ist, sollte unserer Ansicht nach von einem Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Versicherungs- und IT-Recht überprüft werden!

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